Die Frau des Germanen
Germanicus gezogen.«
Severina runzelte die Stirn. »Er kann keine Übermacht gehabt haben.«
»Das nicht. Aber er hat es auch diesmal raffiniert angestellt. Er ist Germanicus nicht entgegengekommen, sondern hat wieder
seine Ortskenntnisse genutzt. Er hat es geschafft, die römischen Truppen zu umgehen, dann hat er von hinten die Nachhut überfallen.
Unsere Soldaten konnten sich nicht mehr formieren und mussten sich dem Nahkampf stellen. Die Germanen sind |313| mit Speeren über sie hergefallen. Germanicus hat schwere Verluste hinnehmen müssen.«
Severina sah Flavus unruhig an. »Und mein Bruder selbst? Ist er unversehrt?«
Flavus nickte. »Er soll Arminius sogar gegenübergestanden haben, aber die beiden sind respektvoll miteinander umgegangen.«
Er griff nach einer Pastete, die Gaviana ihm auf einem silbernen Teller reichte. Lange betrachtete er den Leckerbissen, ehe
er ihn zum Munde führte, kaute sehr gründlich, schien jedoch nicht zu wissen, ob ihm die Pastete schmeckte. »Der Kaiser wird
mich bald wieder in die Schlacht schicken«, sagte er nachdenklich. »Über kurz oder lang werde ich gegen meinen eigenen Bruder
kämpfen müssen, wenn Germanicus es nicht schafft, Arminius ein für allemal zu besiegen.«
Er erhob sich, blieb vor Severina stehen, setzte zu einer erneuten Rede an, schluckte die Worte dann aber herunter und schüttelte
den Kopf. Er sah ratlos und unglücklich aus. Severina lehnte sich zurück und beobachtete, wie er hin und her ging und schließlich
ein Spielzeug aufnahm, über das er beinahe gestolpert wäre. Nachdenklich betrachtete er Silvanus’ aus Holz geschnitztes Pferd.
Die Stille begann gerade eine Trennung zwischen ihnen zu ziehen, da sagte Flavus: »Vielleicht wäre das ganz gut.« Er legte
das Holzpferdchen zur Seite und sank vor Severina auf die Knie. »Dann wäre Euer Wunsch erfüllt, Arminius stünde nicht mehr
zwischen uns.«
Severina hielt es nicht mehr in ihren Kissen. Mit einer energischen Handbewegung schob sie Flavus zur Seite und stellte die
Füße auf die Erde. »Ihr wollt es auf einen Zweikampf mit Arminius ankommen lassen?«
Flavus setzte sich wieder auf den Stuhl und legte die Hände auf seine Oberschenkel. »Ich bin nicht schlechter als er im Zweikampf.«
Severina winkte ab. »Im Zweikampf entscheidet oft das Glück. Was ist, wenn nicht Ihr den Kampf gewinnt, sondern Arminius?
Wollt Ihr das Risiko eingehen?«
|314| Flavus schluckte, sah auf seine Fußspitzen und antwortete nicht.
»Und wollt Ihr Euch später Vorwürfe machen lassen, dass Ihr Euren eigenen Bruder getötet habt?«
Sie hielt einen Augenblick den Atem an, denn ihr wurde bewusst, dass sie in diesem Augenblick zum ersten Mal deutlich etwas
ausgesprochen hatte, für das sie bisher verharmlosende und beschönigende Worte gefunden hatte. Töten!
Besänftigend fügte sie an: »Besser, niemand weiß später, wie Arminius zu Tode gekommen ist.«
Da! Schon wieder war das Wort gefallen, das sie bisher vermieden hatte! Tod! Severina beobachtete Flavus aufmerksam, aber
der zuckte mit keiner Wimper. Das zeigte ihr, wie nah ihm ihre Pläne mittlerweile waren, wie vertraut, wie selbstverständlich.
Sie musste trotzdem aufpassen, durfte nicht die Kontrolle verlieren. Es reichte nicht, dass Arminius starb. Nein, das war
nicht genug. Sie musste Kaiser Tiberius seinen Kopf präsentieren. Sie, Severina, die Enkelin Kaiser Augustus’, die Nichte
von Kaiser Tiberius, musste Arminius besiegen. Ihr musste der Kaiser es zu verdanken haben, dass sein größter Widersacher
zur Strecke gebracht worden war.
Waffengeklirr! Kriegsgeschrei! Das wütende Gebrüll der Angreifer, die verzweifelten Rufe der Verletzten. Pferde wieherten
schrill, Speere sausten durch die Luft, Schilde barsten, Triumphgeschrei wechselte ab mit Schmerzgeheul. Dann zwei, drei Atemzüge
Stille – und wieder brach der Tumult los. Fürst Segestes stand auf der Burgmauer und feuerte seine Speerwerfer an. Bald würde
es keinen einzigen Speer mehr auf der Eresburg geben und Segestes seine Krieger vors Tor schicken müssen. Bis es so weit war,
zog er es jedoch vor, seine Burg von den Mauern herab zu verteidigen.
Thusnelda stand am Windauge ihrer Kammer und versuchte, etwas von dem Geschehen da draußen mitzubekommen. Ihr Vater hatte
ihr befohlen, sich nicht vorm Haus zu zeigen, und sie |315| hielt sich daran. Wie sie sich immer an seine Anweisungen gehalten hatte, bis … ja, bis zu dem Tag, an dem sie
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