Die Frau des Germanen
Seite der Lichtung etwas tat. Severina
richtete sich auf, reckte den Hals, spannte den ganzen Körper. Tatsächlich, etwas löste sich aus der Dunkelheit des Waldes,
eine große Gestalt, breit und kräftig, ein Mann, der ein Pferd am Zügel hielt. Er machte ein paar vorsichtige Schritte, dann
blieb er stehen, drehte sich nach rechts und links und verharrte dann reglos.
»Es geht los«, flüsterte Severina und betrat nun ebenfalls die Lichtung.
Ein Ruck ging durch die Gestalt des Mannes, das war selbst auf die Entfernung zu erkennen. Zögernd setzte er sich zunächst
in Bewegung, dann kam er mit großen Schritten auf |390| Severina zu, sein Pferd folgte ihm ganz selbstverständlich. Die letzten Schritte lief er so schnell er konnte. »Thusnelda?«
Severina nahm mit einer unnachahmlichen Geste, für die Gaviana sie heimlich bewunderte, ihre Kapuze vom Kopf. »Thusnelda konnte
leider nicht kommen.«
»Ich bin nicht allein«, flüsterte Flavus. »Sei still! Ich will nicht, dass uns jemand hört.«
Inaja quälte sich seinen Fingerspitzen entgegen, die ihre Brustwarzen rieben und pressten. Das war es also, was die Stille
im Wald verändert hatte! Römer! Krieger! »Wer ist noch bei dir? Diese Römerin, die die Nachricht geschickt hat? Oder auch
meine Herrin?«
»Ich habe gesagt, du sollst still sein!« Wieder legte er den Arm um ihren Hals. Er zog sie mit sich, Inaja hatte Mühe, sich
aufrecht zu halten, während sie rücklings über den Waldboden stolperte, sich an dichtem Gestrüpp die Beine aufkratzte und
keine Zeit hatte, ihr Tuch aus den Dornen zu lösen, wenn es sich verfing. Verzweifelt rang sie nach Luft.
Schließlich ließ der Druck auf ihrem Kehlkopf nach, Flavus stieß sie gegen einen Baumstamm. Schon griff er unter ihre Schenkel
und hob sie an.
»Flavus!«, flüsterte sie. »Flavus …!«
»Still!«
Sie wollte sich entwinden, wurde aber unerbittlich gehalten und gezwungen, sich zu öffnen, ohne bereit zu sein. Sie wurde
gepfählt!
»Was planst du, Flavus?«, stöhnte sie. »Ist das hier ein Hinterhalt für deinen Bruder?«
»Was geht dich das an?«, keuchte er.
»Hermut ist in diesem Wald. Er kundschaftet die Gegend für Arminius aus.«
Schlagartig ließ Flavus von ihr ab. »Arminius sollte alleine kommen! Er ist gewarnt worden.«
»Hermut war es zu gefährlich. Er traut der Nachricht nicht.«
|391| »Wenn er auf bewaffnete Römer stößt …«
Weiter kam er nicht. In ihrer unmittelbaren Nähe zerbrach Geäst, eine Waffe blitzte auf, eine Stimme drängte sich heran. »So
ist das also!«
Arminius starrte Severina an, seine Hände spielten mit dem Schwert an seiner Seite.
»Ihr erkennt mich nicht?«, fragte Severina und öffnete ihren schwarzen Umhang weiter.
»Doch«, presste Arminius hervor, »ich erkenne Euch.«
»Ihr versteht nun, dass ich Vorkehrungen treffen musste? Die Nichte des römischen Kaisers kann nicht einfach einen Besuch
auf der Teutoburg machen.«
Arminius nickte, als verstünde er es wirklich. »Wo ist Thusnelda?«
»Ihr wundert Euch nicht, dass die Nichte des römischen Kaisers sich für Eure Gemahlin eingesetzt hat?«
»Doch«, antwortete Arminius auch diesmal. »Ich wundere mich sehr.« Er blickte zu dem Kind, das Gaviana auf dem Arm hielt.
»Ist das mein Sohn?«
»Ja, das ist Euer Sohn.« Severina gab Gaviana einen Wink, damit sie vortrat und Arminius das Kind hinhielt. »Seht ihn Euch
an. Erkennt Ihr, wie ähnlich er Euch ist?«
Sie beobachtete Arminius’ Gesicht, das dem Gesicht, das sie in ihrer einzigen gemeinsamen Nacht gesehen hatte, für Augenblicke
recht ähnlich war – sehr weich, sehr verletzlich, sehr zärtlich. Das Gesicht eines Liebhabers, eines Vaters, nicht das eines
Kriegers.
Er hatte die Hand von seiner Waffe genommen, nun aber zuckte sie zurück. »Das ist nicht mein Sohn. Mein Sohn muss viel jünger
sein.«
Silvanus erwachte von der lauten Stimme. Er rieb sich die Augen und starrte den Mann an, den er noch nie gesehen hatte. Leise
begann er zu weinen und drängte sein Gesicht an Gavianas Brust.
|392| »Das ist nicht mein Sohn«, wiederholte Arminius.
Severinas Augen wurden hart. »Es ist Euer erstgeborener Sohn.« Ihre Stimme warf scharf und gefährlich, aber Arminius schien
die Gefahr nicht zu erkennen.
»Ich habe nur einen Sohn.« Es klang schroff und abweisend. »Wo ist Thusnelda?«, wiederholte er.
Severina trat dichter an ihn heran. In ihren Augen stand mörderische Wut. »Ihr wisst
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