Die Frau des Germanen
mit Duftwassern dafür sorgen musste, dass
sie keinen unangenehmen Geruch verströmte, kam ihnen nicht über die Lippen.
»Wo ist Gaviana?«, brüllte Severina.
Die jüngste der Sklavinnen begann zu zittern, der anderen gelang es, ein paar Worte der Erklärung herauszubringen: »Sie wäscht
sich, Herrin!«
Zum Glück erschien Gaviana in diesem Moment wieder und sorgte dafür, dass ihre Herrin wohlbehalten in ihr Schlafgemach gebracht
wurde. Dort ließ Severina sich auf ihr Bett sinken, streckte sich aus und schloss die Augen. Bewegungslos lag sie da. Gaviana
hatte sie noch nie so kraftlos gesehen, so schwach und hilflos.
Nachdenklich betrachtete sie das blasse Gesicht ihrer Herrin, ihre schweißbedeckte Stirn, die bebenden Nasenflügel. Welche
Heilkräuter mochten die richtigen sein, damit es Severina bald |107| besser ging? Gaviana dachte noch darüber nach, als sie plötzlich die Träne sah, die aus Severinas linkem Augenwinkel trat.
Noch nie hatte Gaviana ihre Herrin weinen sehen. Sie starrte auf diese Träne, als müsste sie sich vergewissern, dass es sich
nicht um einen Schweiß- oder einen Regentropfen handelte, der durchs Dach gesickert war. Nein, Severina weinte tatsächlich!
Nun trat auch aus dem anderen Auge eine Träne, die weitere mitbrachte, und kurz darauf begann Severina zu schluchzen.
Gaviana setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand. »Warum seid Ihr traurig, Herrin? Wie kann ich Euch helfen?«
Aber Severina schüttelte nur den Kopf und weinte weiter. Unablässig rollten die Tränen ihre Schläfen hinab und sickerten ins
Kissen.
Gaviana war so hilflos wie nie zuvor. »Was kann ich tun, Herrin?« Als Severina auch diesmal nicht antwortete, fügte sie behutsam
an: »Ist es die Schwangerschaft, die Euch quält?«
Nun endlich kam wieder Leben in Severina. Sie schlug die Augen auf, und für Augenblicke verschwand die Traurigkeit aus ihnen.
»Was redest du da?«, fuhr sie Gaviana an. »Sag so was nicht noch einmal! Sonst lasse ich dir die Zunge herausschneiden!«
Erschrocken wich Gaviana zurück. »Verzeiht mir, Herrin!«, stammelte sie und warf sich auf die Knie. »Bitte, vergebt mir meine
Unbesonnenheit!«
Immer wieder stieß sie ihre Entschuldigungen hervor, immer flehentlicher, immer eindringlicher. Aber Severina antwortete nicht.
Und als Gaviana es wagte, ihren Blick wieder zu heben, ahnte sie, dass ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert war. Sie sah
die schöne Severina, die Schwester des großen Germanicus, Mitglied der kaiserlichen Familie, wimmernd auf dem Bett liegen,
die Hände vors Gesicht geschlagen, von Schmerz und Verzweiflung geschüttelt. Mit zitternden Knien erhob sich Gaviana und sah
auf Severina hinab. Sollte sie versuchen, ihre Herrin zu trösten? Aber es war nicht auszuschließen, dass Severina sie bestrafen
würde, weil sie sich unterstand, die Schwäche ihrer Herrin zu erkennen. Doch wenn sie sich jeden Trost versagte und über Severinas |108| Depression hinwegsah, konnte ihr das gleiche Schicksal blühen, weil sie sich über die Gefühle ihrer Herrin hinweggesetzt hatte.
So oder so – das verhängnisvolle Faktum würde für immer und ewig zwischen ihnen stehen. Dass sie Severina schwach und hilflos
gesehen hatte, würde ihr nie vergeben werden.
Amma stand den ganzen Tag am Küchenfeuer und traf Vorbereitungen für die Ankunft von Fürst Aristan und seinem Gefolge. Segestes
hatte schon kurz nach der Verlobung ein Schwein schlachten lassen und den Schinken in den Rauch gehängt, damit er trocken
und mürbe war, wenn Aristan seine Braut zu sich holen würde. Am Tag zuvor waren überdies mehrere Hühner, Gänse und ein Schaf
geschlachtet worden, ihr Fleisch kochte in großen Kesseln über dem Feuer. Einige besonders gute Stücke sollten am nächsten
Tag auf einem Spieß gebraten werden.
Als Thusnelda und Inaja das Haus verließen, war Amma gerade dabei, Roggen-, Gersten- und Hafermehl mit Wasser zu vermischen,
um daraus einen Brotteig zu kneten. Zwei Mägde kümmerten sich um die Hafergrütze und den Hirsebrei. Fürst Segestes wollte
seine Gäste großzügig bewirten.
Thusnelda wickelte ihr wollenes Tuch enger um ihren Körper, obwohl die Abendluft lau war und nur ein schwacher Wind ging.
Auch Inaja hatte sich in ein Tuch gehüllt, als wollte sie sich vor Kälte schützen. Schweigend wanderten die beiden zum Fuß
der Eresburg, blickten dabei in den Himmel, spielten im Vorübergehen mit den Blättern eines Busches und
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