Die Frau des Germanen
nickten einer Magd
zu, die vom Brunnen zurückkehrte.
Der Wärter, der vor dem Tor hockte, das die Eresburg verschloss, sah sie besorgt an. Aber er wagte nicht zu widersprechen,
als Thusnelda ihn anwies, das Tor für sie zu öffnen. Dass es ihm missfiel, daran ließ er jedoch keinen Zweifel.
»Mein Herr ist nicht daheim«, murmelte er, womit er wohl darauf hinweisen wollte, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn alle
Bewohner der Eresburg in ihren Mauern blieben, damit es leichter war, über ihre Sicherheit zu wachen.
|109| »Wir wollen Brombeeren suchen«, erklärte Inaja und wies zu den Hecken, die am Fuß der Eresburg standen. »Unsere Herrin möchte
für ihren Bräutigam eigenhändig Brombeermus zubereiten.«
Das schien dem Wärter zu gefallen. Vielleicht hatte er auch schon gehört, dass die Fürstentochter zusammen mit ihrer Dienstmagd
gern auf Beerensuche ging. Der Mann arbeitete sonst im Stall und schien unter der Angst zu leiden, am Eingang der Eresburg
etwas falsch zu machen. Lange blieb er in dem geöffneten Tor stehen und sah den beiden Frauen nach. Als Thusnelda das erste
Mal in die Hecke griff, hatte er sich jedoch schon abgewandt. Nun schien er darauf zu vertrauen, dass der Fürstentochter keine
Gefahr drohte.
Thusnelda steckte eine Beere in den Mund, dann ließ sie sich auf die Erde sinken. Inaja warf ihr einen Blick zu und nickte.
Ja, sie würde allein die Brombeeren pflücken. Ohne ein Wort machte sie sich an die Arbeit, und Thusnelda war froh, dass sie
schwieg. Sie wollte nicht reden, ihre Gedanken füllten sie aus, in ihr war kein Platz für Belangloses, und alles, was in diesem
Augenblick wichtig war, konnte sie nicht aussprechen.
Nach Fürst Segimers Beisetzung hatte ihr Vater die Hochzeitsvorbereitungen vorangetrieben. Fürst Aristan war einverstanden
gewesen, die Verlobungszeit zu verkürzen. Thusneldas Flehen, die Bitte, ihr noch Zeit zu lassen, hatte den Fürsten nicht umstimmen
können. Und als Thusnelda darüber klagte, dass sie einen Mann heiraten sollte, den sie kaum kannte, und ihrem Vater weinend
ihre Angst vor der Ehe mit Fürst Aristan gestand, hatte sie genau das Gegenteil von dem bewirkt, was sie sich erhofft hatte.
Der Termin der Hochzeit wurde unverzüglich festgesetzt, die Braut hatte sich zu fügen.
Oft, wenn Thusnelda in Gedanken versunken am Webstuhl saß, hatte sie sich von ihrem Vater von da an beobachtet gefühlt. Spürte
er etwas von ihrer Sehnsucht? Kannte er gar ihre wahren Gefühle? Inaja hatte immer wieder behauptet, es könne nicht sein,
Fürst Segestes sei ahnungslos und habe nichts gemerkt von |110| den Heimlichkeiten seiner Tochter. Doch Thusnelda war ihre Angst nie losgeworden. Jedesmal, wenn sie von Inaja verführt wurde,
machte die Angst aus dem Glück eine Qual. Und doch war sie immer wieder überwunden worden. Die Sehnsucht war ein ums andere
Mal größer gewesen als die Angst. Aber Tag für Tag erhob sie sich aufs Neue. Mahnend! Warnend! Wann würde es dem Vater zu
Ohren kommen, dass seine Tochter sich neuerdings häufig außerhalb der Burgmauern aufhielt? Dass sie seit kurzem Freude dran
hatte, mit ihrer Dienstmagd auf den Wiesen Blumen zu suchen und wilde Kräuter und Beeren zu sammeln? Amma blickte ihrer Herrin
häufig nachdenklich hinterher, das war Thusnelda nicht entgangen, und was die Torwärter dachten, wollte sie sich gar nicht
ausmalen. Sicherlich war bereits jedem von ihnen aufgefallen, dass die beiden Frauen vom langen Blumenpflücken mit dürren
Sträußchen zurückkamen und ihre Körbe stets nur zur Hälfte mit Wildkräutern und Beeren gefüllt waren. Und dass Thusnelda und
Inaja sich gern ihren Blicken entzogen, hatten sie vermutlich auch längst bemerkt. Aber so sicher das war, so sicher war auch,
dass keiner von ihnen es wagen würde, Fürst Segestes einen Hinweis zu geben. Erst recht nicht der Wärter, der an diesem Tage
Dienst tat. Thusneldas Vater hatte zum Glück seine besten Männer mitgenommen, als er sich aufmachte, um Fürst Aristan entgegenzureiten.
Der Kerl, der sonst den Schweinekoben ausmistete und die Kühe molk, war ein Tölpel, der glaubte, was man ihm sagte, und sich
nicht traute, die Gedanken seiner Herrin zu seinen eigenen zu machen. Der Zeitpunkt war günstig, die heimatliche Burg ein
letztes Mal mit den Augen eines Kindes zu sehen, mit dem Glück eines Kindes alles zu genießen, was sie bot, und das kindliche
Vertrauen nun hier zurückzulassen. Die
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