Die Frau des Germanen
behutsam, wie Hilger und Flavus es niemals getan hätten.
Der Druckschmerz auf ihrem Schambein tat ihr gut.
Sie lebte, sie liebte!
6.
F lavus war außer sich vor Wut gewesen, als er Inaja bemerkte.
»Was tust du hier, elendes Weib?«, hatte er sie angefahren. »Bist du hier, um mich zu belauern?«
Inaja schüttelte den Kopf. »Niemals würde ich Euch belauern.«
»Warum bist du dann hier?«
|100| »Zufällig! Rein zufällig!«
»Und warum versteckst du dich, wenn du ein reines Gewissen hast?«
Wie sollte sie ihm erklären, dass sie sich verborgen hatte, gerade weil sie kein Zaungast sein wollte? Würde er einsehen,
dass er es war, der sie zu einem heimlichen Beobachter gemacht hatte und nicht sie selbst? Nein, sie hatte nicht mit ansehen
wollen, was er Schreckliches tat, niemals hatte sie Zeugin sein wollen. Sie wäre froh gewesen, wenn sie nicht hätte beobachten
müssen, dass er die wichtige Nachricht aus Rom, die für seinen Bruder bestimmt gewesen war, einfach vernichtete. Nichts davon
hatte sie sehen und wissen wollen. Aber es gelang ihr nicht, Flavus davon zu überzeugen.
»Dir werde ich zeigen, dass man mich nicht ungestraft belauert!«
Grob griff er nach ihrem Oberarm, so dass sie leise aufschrie. Seine Nägel gruben sich in ihr Fleisch, sein rechtes Knie stieß
sie im Rhythmus seiner Schritte vorwärts. Er schien nicht zu merken, dass seine Gewalt überflüssig war. Inaja wehrte sich
nicht gegen sein Drängen, ließ sich schieben, stoßen und sogar schlagen, als er glaubte, dass er sie zwingen müsse, sich von
ihm erniedrigen zu lassen.
Obwohl sie keinen Widerstand leistete, als er sie ins Heu warf, fauchte er: »Heul nur! Es wird dir nichts nützen!« Und obwohl
sie ihn nur stumm aus großen Augen ansah, fuhr er sie an: »Wehe, du schreist! Dann wirst du diesen Tag nicht überleben!«
Keinen Laut gab sie von sich, als er ihr den Kittel hochschob, und stöhnte nur ganz leise auf, als er roh ihre Beine spreizte.
Dass sie sich an seinen Hals klammerte, als er rücksichtslos in sie eindrang, mochte er für Angst halten, und dass sie sich
von ihm beschimpfen ließ, für Demut. »Hure! Gemeine Hure! Wie viele Kerle hast du schon zu dir gelassen? Zehn? Zwanzig? Jeden,
der es wollte?« Dann stöhnte er im Rhythmus seiner Stöße: »Hure!« Und immer wieder: »Hure!« Bis er über ihr zusammenbrach.
|101| Dass sie ihn anschließend zu küssen versuchte, bemerkte er nicht. Und sie versuchte es nicht noch einmal. Denn nun kam es
darauf an, nicht zu schreien. Stöhnen durfte sie, aber nur ganz leise, weinen und seufzen auch und sich gegen ihn stemmen,
damit er sich an seiner Übermacht berauschen konnte. Nur schreien durfte sie nicht, damit niemand auf sie aufmerksam wurde.
Als er ihr das Blut von der Brust leckte, grinste er. »Wenn du darüber redest, bringe ich dich um.«
Nein, sie würde nicht reden. Aus Angst würde sie schweigen und auch aus Scham. So glaubte es Flavus. Wie sollte er auch ahnen,
dass sie vor allem aus Liebe schwieg?
Severina verließ das Atrium, in dem es ihr auch im Schatten zu warm wurde, und begab sich ins Triclinium, den Speiseraum des
Hauses. Sie hatte eine Weile an dem großen Becken gesessen, in dem das Regenwasser aufgefangen wurde, aber das Spiel ihrer
Fingerspitzen mit dem lauwarmen Nass hatte ihre Laune nicht verbessert. Nachdenklich starrte sie auf die Wachsmasken ihrer
Ahnen, die in Schränken ausgestellt waren, die man eigens dafür angefertigt hatte, dann wandte sie sich angewidert ab. Eben
noch war sie hungrig gewesen, nun aber empfand sie Ekel beim Gedanken an die gefüllte Taube, die sie sich eigentlich servieren
lassen wollte. In ihr herrschte ein quälender Disput zwischen Hunger und Sättigung, guter und schlechter Laune, Wut und Friedfertigkeit.
Derart starken Schwankungen unterlag ihre Stimmung, dass es ihr selber manchmal Angst machte. Severina gehörte nicht zu denen,
die ihre Handlungen und Empfindungen überdachten, aber das momentane Gefühl der Zerrissenheit belastete sie tatsächlich. Erst
recht natürlich belastete es ihre Sklavinnen, die ständig in Alarmbereitschaft waren, weil niemand vorhersehen konnte, welchen
Wunsch Severina als nächsten vorbringen würde.
Mürrisch betrachtete sie den großen rechteckigen Tisch, der in der Mitte des Tricliniums stand. Er war aus dem kostbaren Holz |102| des Thujabaums gefertigt, das der Kaiser aus Mauretanien bezog, trug eine Platte mit wertvollen
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