Die Frau des Germanen
drohten, die sich außerhalb ihres befriedeten Heims aufhielt, hatte Inaja nur gelacht.
Die Räuberbanden, die durchs Cheruskerland zogen, trauten sich nicht an die Burg eines Fürsten heran, sie trieben ihr Unwesen
in den dichten Wäldern, wo sie in finsteren Höhlen wohnten, in die sie sich nach jedem Überfall flüchten konnten. Und von
reisenden Römern hatten die Frauen nichts zu befürchten. Schließlich gehörten sie zum Hausstand Fürst Segestes’, dem Römerfreund.
Trotzdem begleitete Thusnelda ihre Dienstmagd nur dann, wenn ihr Vater nicht zu Hause war. Sie wusste, was er sagen würde,
wenn sie ihn gebeten hätte, die Burg verlassen zu dürfen. »Du bist nicht nur meine Tochter, sondern auch die Verlobte von
Fürst Aristan! Ich habe ihm mein Wort gegeben, alles von dir fernzuhalten, was dir gefährlich werden könnte, bis er dich zu
sich holt.«
Thusnelda ahnte, warum es Inaja so oft aus der Burg zog. Vom höchsten Punkt der Burgmauer hatte sie ein paar Mal Hermut über
die Wiesen reiten sehen, und jedes Mal war Inaja kurz darauf verschwunden, um Beeren zu sammeln oder einem Bauern einen Besuch
abzustatten, mit dem sie entfernt verwandt war.
Dann hatte jedoch auch Thusnelda Gefallen daran gefunden, über die Wiesen zu streifen, einmal hatte sie sogar mit Inaja in
einem kleinen Weiher gebadet.
|116| Schließlich war der Tag gekommen, der alles veränderte. Hermut war erneut von der Teutoburg zur Eresburg geritten, aber diesmal
nicht allein. Arminius war bei ihm und sprang eilig vom Pferd, als er Thusnelda sah. Gerade noch war sie übermütig mit Inaja
über die Wiese gelaufen, nun bemühte sie sich prompt um eine vornehme Haltung und eine gleichmütige Miene. Die Fürstentochter
reichte dem Fürstensohn lächelnd die Hand und begrüßte ihn mit höflichen Worten. Dass Inaja von Hermut mit einer innigen Umarmung
empfangen wurde, nahm sie nur am Rande zur Kenntnis. Arminius’ Blick war so fesselnd, dass sie nichts anderes sehen konnte
als seine Augen.
Thusnelda rang nach Worten. »Was für ein Zufall! Ich halte mich selten außerhalb der Burgmauern auf, aber gerade heute …«
Verlegen brach sie ab, weil sie beinahe gesagt hätte, wie glücklich sie darüber war, ihn zu sehen.
Arminius und Hermut ließen ihre Pferde grasen und setzten sich auf zwei Baumstümpfe, nachdem sie den beiden Frauen einen weichen
und trockenen Sitzplatz auf einem Moosbett bereitet hatten. Thusnelda versuchte, aufrecht zu sitzen und nichts zu tun, was
sie nicht auch getan hätte, wenn Arminius im Hause ihres Vaters zu Gast gewesen wäre. Doch es fiel ihr immer schwerer, ihrer
Rolle als Tochter des Fürsten Segestes gerecht zu werden. Und die Frage, ob ihr Vater ihr Verhalten billigen würde, wurde
mehr und mehr zur Last. Erst recht, als Inaja und Hermut keinen Hehl mehr daraus machten, dass sie ein Liebespaar waren. Sie
hielten sich an den Händen, liefen lachend über die Wiese und schließlich sogar in den Hain hinein. Und beim zweiten Mal,
als sie sich erneut vor den Burgmauern getroffen hatten und Thusnelda sich nicht mehr vormachen konnte, dass es sich um einen
Zufall handelte, waren die beiden für eine ganze Weile nicht wieder aus dem Wald herausgekommen. Arminius und Thusnelda waren
allein. Noch nie in ihrem Leben war sie mit einem Mann, der nicht zu ihrer Familie gehörte, allein gewesen.
Es stellte sich heraus, dass Hermut von dem Gespräch mit Inaja berichtet hatte. Arminius wusste, dass Thusnelda ihrem |117| Vater und seinem Onkel mutig widersprochen hatte. »Ihr macht Euch Gedanken über die römische Herrschaft? Über das Schicksal
der besiegten Stämme? Über die Ausbeutung unserer Bauern und über Varus’ Lebenswandel?«
Thusnelda nickte, aber sie sah nicht auf. Es gehörte sich nicht für eine Frau, sich die Gedanken der Männer zueigen zu machen
und sie sogar zu äußern. Ihr Vater hatte sie nach Ingomars Besuch eindringlich davor gewarnt, sich noch einmal in die Gespräche
von Männern einzumischen. Er hatte ihr sogar die Gedanken verboten, die sie ausgesprochen hatte, und ihr prophezeit, dass
die Ehe mit Fürst Aristan nicht gutgehen würde, wenn sie sich als seine Ehefrau auch nur ein einziges Mal derart schlecht
benehmen würde. Thusnelda hatte sich fest vorgenommen, sich niemals wieder so gehen zu lassen.
Daher wagte sie jetzt nicht, ihre Kritik zu wiederholen, obwohl sie wusste, dass sie in Arminius einen Gleichgesinnten vor
sich hatte. Sie
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