Die Frau des Germanen
des inneren Kreises, streckte die Hände zum |187| Himmel und zeigte damit an, dass sie Kontakt zu den höheren Mächten aufgenommen hatte, dass Freya, die Göttin der Liebe und
Fruchtbarkeit, sich der Priesterin zuneigte und ihr die Kraft gab, die Brautpaare in die Ehe zu geleiten. Ehegeleit, so wurde
die Hochzeit bei den Cheruskern auch genannt. Aelda blieb stehen und wartete darauf, dass das fürstliche Paar, das sich zusammen
mit einer Magd und einem Bauernsohn vermählen lassen wollte, zu ihr kam.
Thordis legte großen Wert darauf, dass die Zeremonie so abgehalten wurde, als wäre die Ehe ihres Sohnes mit dem Vater der
Braut beschlossen worden. Inaja bewunderte sie für ihre unerschütterliche Haltung. Sie war eine Mutter, die zu ihrem Sohn
stand, auch dann, wenn er nicht so handelte, wie sie es sich wünschte. Wie sehr hatte Inaja sich eine solche Mutter gewünscht!
Sie spürte Hermuts Hand, die sich warm auf ihren Rücken legte. Er schien genauso glücklich zu sein wie sie, wenn auch sein
Glück einen anderen Namen hatte. Es hieß Inaja, und sein Glück war die Liebe, nichts anderes, nur diese Liebe zu Inaja. Deren
Glück aber war anders. Es hatte viele Gesichter, rechtschaffen, beschönigend, nichtswürdig, auch frömmlerisch und sogar heimtückisch.
An diesem Tag war ihr Glück dennoch strahlend, kein Schuldgefühl konnte ihm das Leuchten nehmen. Es wusste ja niemand, dass
Inajas Glück nicht von Hermut abhing. Von Thusnelda hing es ab, von deren Liebe zu Arminius und von dessen Bruder. So zufrieden
war Inaja mit ihrem Schicksal, dass sie sich fest vornahm, ihrem Ehemann ein Leben lang dankbar zu sein. Er hatte ihr Glück
leichtgemacht und es zum Schweben gebracht, dafür verdiente er Dank. Inaja war derart fröhlich, dass sie Hermut vor ihrer
Eheschließung sogar ein langes Leben wünschte. Obwohl ja jeder wusste, dass das Leben eines Kriegers selten lang war, dass
es spätestens dann zu Ende ging, wenn auch seine Körperkraft nachließ und er dem Gegner unterlegen war. Und ebenso wusste
jeder, dass ein Krieger genau das wollte. Er wünschte sich nicht, alt zu werden und im Bett |188| den unwürdigen Strohtod zu erleiden. Er wollte im Kampf sein Leben lassen, damit sich ihm die Tore von Walhalla öffneten.
Unter anderen Umständen wäre Thusnelda mit ihrem Vater in der Eresburg aufgebrochen, hätte sich auf dem Weg zur Teutoburg
von den Bauern, ihren Familien und dem Gesinde Glück wünschen lassen und ihnen Nüsse zugeworfen, viele, viele Nüsse. Eine
Braut, die Nüsse unters Volk warf, durfte mit zahlreichen Nachkommen rechnen.
In diesem Fall aber brachen Thusnelda und Arminius zusammen am Tor der Teutoburg auf. Die Braut trug ein leuchtend blaues
Gewand aus feinem Wollstoff, in der Taille eine helle Kordel mit gefransten Enden, in die die Mägde rote Beeren geknüpft hatten.
Ihre blonden Flechten, die wie eine Krone am Kopf festgesteckt waren, hatte Thordis höchstpersönlich mit einem Blütenkranz
geschmückt. Als einzigen Schmuck trug die Braut die Bernsteinkette ihrer Mutter, die wunderbar mit der goldenen Fibel harmonierte,
die Arminius’ Mutter ihr angesteckt hatte.
Thusnelda war beschämt gewesen, als sie Thordis’ Großzügigkeiten entgegennehmen musste. Einmal mehr war ihr bewusst geworden,
dass sie arm war. Sie war nicht mehr die Tochter ihres Vaters und noch nicht Arminius’ Frau, also völlig mittellos. Die reiche
Fürstentochter besaß genauso wenig wie ihre Dienstmagd. Auch die musste froh sein, dass sie ihr Hochzeitskleid geschenkt bekam.
Arminius hatte dafür gesorgt, dass der Braut seines besten Freundes ein neuer Rock genäht wurde und eine Bluse, die sie mit
zwei Lederriemen in der Taille schnüren konnte. Inaja war sehr stolz auf den feinen dunkelroten Wollstoff. Noch nie hatte
sie ein so kostbares Kleidungsstück besessen.
Als Arminius sich in seinem Hochzeitsgewand zeigte, versetzte er alle Bewohner der Teutoburg in Erstaunen. Wenn er auch in
den letzten Monaten immer öfter die Kleidung des römischen Offiziers abgelegt und zur Tracht des germanischen Edelings gegriffen
hatte, so war doch an diesem Tag jeder davon ausgegangen, dass er sich in prunkender römischer Uniform in die Ehe geleiten
lassen würde. Aber Arminius trug, was ein vornehmer |189| Germane an einem Festtag zu tragen pflegte: einen bestickten weiten Kittel und eine Hose, beides aus feingewebtem Stoff, dazu
hohe Stiefel aus Rindsleder. Der breite
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