Die Frau des Germanen
vor einem Bienenschwarm gescheut.«
»Und dann?« Thusnelda konnte gar nicht genug davon hören. Es war, als würde sie erst jetzt zu einem Teil der Gesellschaft,
in die sie hineingeboren war. Nun endlich wusste sie, was mit ihrem Land geschehen war, warum es geschehen war und was in
Zukunft geschehen konnte. Ihr Vater hatte auf all ihre Fragen immer nur eine einzige Antwort gehabt: »Die römische Herrschaft
ist gut für uns. Mehr brauchst du nicht zu wissen.«
Arminius dagegen gefiel Thusneldas Wissbegier. »In den folgenden Jahren hat Tiberius versucht, was Drusus nicht gelungen ist.
Er hat die Eroberung der germanischen Stämme fortgesetzt. Die Cherusker haben sich daraufhin freiwillig unterworfen. So |185| gingen sie nicht in die Sklaverei, sondern wurden Bundesgenossen der Römer.«
»Aber sicher waren sich die Römer ihrer Sache anscheinend nicht. Sonst hätten sie Flavus und dich nicht als Geiseln genommen.«
»Sie werden nie sicher sein können. Daran wird auch Varus nichts ändern. Selbst wenn er Germanien bald eine römische Provinz
nennen wird. Er fängt es falsch an, indem er den Germanen alles nehmen will, was germanisch ist. Ganz Germanien soll römisch
werden. Mit römischen Steuergesetzen, römischer Rechtsprechung …«
»… und römischen Strafen! Nie zuvor hat es bei uns öffentliche Auspeitschungen und Hinrichtungen gegeben.«
»Varus kann aus Germanien eine römische Provinz machen, aber aus den Germanen keine Römer.«
Sie gingen wieder in die Sicherheit der Teutoburg zurück. Arminius griff nach Thusneldas Hand, obwohl Thordis in der Nähe
stand, die ihnen mit gerunzelter Stirn entgegensah. Sie legte großen Wert darauf, dass die beiden Verlobten sich nicht zu
nahe kamen. Wenn diese Ehe schon nicht von den Vätern gestiftet worden war, so sollte alles andere seine Ordnung haben. Dass
Inaja ihre Nächte in Hermuts Armen verbrachte, spielte keine Rolle, aber der Fürst der Cherusker und seine Braut hatten sich
anders zu verhalten Auch wenn am nächsten Tag die Hochzeit gefeiert werden sollte – heute waren Arminius und Thusnelda noch
Brautleute, die froh sein konnten, dass sie vor der Hochzeit miteinander reden und sich kennenlernen durften. Das war mehr,
als den meisten anderen Paaren erlaubt wurde.
Arminius beachtete seine Mutter nicht, er war mit seinen Gedanken woanders. Er sah auch Thusnelda nicht an, als er leise und
sehr nachdenklich weitersprach: »Flavus ist ein Römer geworden, andere germanische Fürstensöhne wurden es ebenfalls. Auch
ich habe lange wie ein Römer gedacht und gehandelt. Schließlich habe ich im römischen Heer gedient, römische Kriegstechnik
erlernt, ich wurde zum Bürger Roms ernannt und |186| sogar zum römischen Ritter geschlagen. Aber je öfter ich in die Heimat kam, desto sicherer wurde ich, dass ich ein Germane
bin. Und immer bleiben werde!« Nun wurde seine Stimme kräftiger, er sprach lauter. »Ein freier Germane! Kein von Tiberius
eroberter und von Varus verwalteter Germane!«
Thusnelda griff nach seinem Arm und wies über die Burgmauer. »Da! Der Bote, den du zur Eresburg geschickt hast! Er kommt zurück!«
Arminius griff erneut nach Thusneldas Hand und stellte sich, Seite an Seite mit ihr, in das Tor der Teutoburg. Thordis betrachtete
die beiden mit unzufriedener Miene. Sie sahen jetzt schon aus, als wären sie bereits Herr und Herrin der Teutoburg. Am Tag
vor ihrer Hochzeit! Missbilligend schüttelte Thordis den Kopf.
Der Reiter sprang kurz vor dem Tor vom Pferd, die beiden Torwächter nahmen ihm das Tier ab und führten es in die Burg.
Der junge Mann sah Arminius an, als hätte er ein schlechtes Gewissen. »Leider bringe ich keine positive Antwort«, sagte er.
»Fürst Segestes hat sich geweigert, mich zu empfangen. Als er hörte, dass ich von der Teutoburg komme, hat er mich zurückschicken
lassen. Aber ich habe dem Torwächter gesagt, aus welchem Grunde ich gekommen bin. Er hat mir versprochen, dem Fürsten die
Mitteilung zu machen, dass hier morgen eine Hochzeit stattfindet und seine Anwesenheit sehnsüchtig erwartet wird.«
Arminius nickte ihm zu, dann zog er Thusnelda fest an seine Seite. »Nicht traurig sein«, flüsterte er. »Das ist wohl der Preis,
den wir zahlen müssen. Aber wer weiß … vielleicht überlegt er es sich bis morgen noch anders.«
12.
D ie Priesterin Aelda hatte auf dem Platz vor dem Hause aus langen Grashalmen zwei große Kreise gelegt. Nun stand sie in der
Mitte
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