Die Frau des Germanen
nicht allein lassen, wenn sie in den Stand der
Ehe trat. Zumindest als Gast würde er auf der Teutoburg erscheinen, aber vielleicht … vielleicht auch als Brautvater. Thusnelda
hoffte so sehr auf seinen Segen, und je länger sie hoffte, desto sicherer wurde sie, dass sie ihn bekommen würde. Ja, ihr
Vater musste einverstanden sein, wenn ihm klar wurde, dass sie ihr Glück gefunden hatte!
Der hasserfüllte Blick, der sie getroffen hatte, war mehr und mehr in Vergessenheit geraten. In Augenblicken wie diesem, wenn
sie in Arminius’ Nähe vom Glück erfüllt war, dachte sie nicht mehr daran. Nur nachts, wenn sie von einem Geräusch aufwachte,
das ihr nicht vertraut war, wurde ihr bewusst, dass sie nicht mehr in der Burg ihres Vaters lebte und dass sie vielleicht
seine Liebe verspielt hatte. Aber wenn dann die Sonne über der Teutoburg |183| aufging, vertraute sie wieder darauf, dass sie zwar nicht mehr in der Eresburg, aber noch immer im Herzen ihres Vaters wohnte.
»Augustus’ Adoptivsöhne Drusus und Tiberius wurden mit der Eroberung Germaniens beauftragt«, erzählte Arminius weiter. »Die
beiden Brüder haben ihre Arbeit gut vorbereitet. An der Rheingrenze ließen sie fünfzig Truppenstützpunkte errichten, von dort
aus haben sie ihre Feldzüge geplant.«
Thusnelda genoss es, mit Arminius zu reden. In diesen Gesprächen wurde sie vom Mädchen zur Frau, zu seiner Frau. Die Heirat,
die am nächsten Tag stattfinden sollte, würde nur nach außen tragen, was längst geschehen war. Arminius hatte sie angenommen
als seine Frau, indem er sich ihr anvertraute und sich alles anvertrauen ließ, was Thusnelda bisher in ihrem Herzen eingeschlossen
hatte. Er nahm jedes ihrer Worte ernst, er folgte ihren Gedanken, machte sie zu seinen eigenen oder formte sie mit ihr um
zu neuen gemeinsamen Gedanken. Auch die erste gemeinsame Nacht in Arminius’ Kammer würde, davon war Thusnelda überzeugt, ein
Dialog sein. Ihre Körper würden sich einander anvertrauen wie jetzt ihre Seelen und ihr Denken. Sie hatte schon lange keine
Angst mehr vor ihrer Hochzeitsnacht und auch nicht mehr das Bedürfnis, an Inajas Erfahrung teilzuhaben.
Ihr Vater hatte ihr nie zugetraut, sich an einem Gespräch zu beteiligen, dessen Inhalt über die Grenzen der Eresburg hinausging.
Wenn sie eine kritische Auffassung geäußert hatte, war Segestes ihr stets über den Mund gefahren. »Was weißt du schon davon!«
Natürlich hatte er recht, sie wusste viel zu wenig von dem, was die römische Herrschaft für die Cherusker und alle anderen
germanischen Stämme bedeutete. Sie wusste es deshalb nicht, weil ihr Vater sich weigerte, es ihr zu erklären. Aus Gesprächsfetzen,
die sie heimlich aufgeschnappt hatte, hatte sie sich ihre Meinung bilden müssen. Sie war eine Frau, musste nichts wissen von
den Entscheidungen der Männer und sollte sich mit einer eigenen Meinung zurückhalten. Segestes war sogar davon überzeugt,
dass es schädlich für den Charakter einer Frau war, wenn sie sich Gedanken machte, die den Männern vorbehalten waren.
|184| Thusnelda dachte an sein Gespräch mit Ingomar zurück, in das sie sich eingemischt hatte. Wie zornig war ihr Vater gewesen!
Und jetzt glaubte er vermutlich, aus ihrem damaligen Ungehorsam sei der Trotz entstanden, mit dem sie sich gegen ihren Vater
aufgelehnt und zu dem Mann geflohen war, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. Sicherlich bereute ihr Vater jetzt schwer,
sie damals für ihre Einmischung nicht hart bestraft zu haben. Hatte er recht? Wäre dann ihr Mut, über ihre Zukunft selbst
zu entscheiden, gar nicht erst erwacht?
»Drusus ist es tatsächlich gelungen, viele Stämme zu unterwerfen. Die Friesen, die Brukterer, die Marser und Chatten«, sagte
Thusnelda selbstbewusst, die in den letzten Wochen von Arminius eine Menge gelernt hatte.
Er lächelte sie liebevoll an. »Aber dann ist ihm eine germanische Seherin begegnet. Sie forderte ihn zum Rückzug auf.«
»Stimmt das wirklich?«, fragte Thusnelda ehrfurchtsvoll.
Arminius zuckte mit den Achseln. »So haben es Krieger erzählt, die dabei waren. Eine sehr große Frau soll sie gewesen sein,
mit einem ebenso großen Tier an ihrer Seite. Vermutlich ein Bär. Sie hat Drusus’ Tod vorausgesehen, als Strafe für das, was
er den germanischen Stämmen antat. Tatsächlich starb Drusus bereits auf dem Rückmarsch. Er fiel vom Pferd und erlag wenig
später seinen schweren Verletzungen. Angeblich hat sein Pferd
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