Die Frau des Germanen
nervös auf ihrer Schulter, als ein Nachtfalter über sie hinwegflatterte,
löste er sich von ihr. »Wenn Varus das Sommerlager verlässt, ist es so weit«, antwortete er. »Auf dem Weg ins Winterlager
wird es passieren.«
Thusnelda drängte sich an seine Brust. »Ich habe Angst. Angst um dich!«
Arminius schob sie sanft von sich und griff in seine Taille, wo sein Kittel von einer kunstvollen Kordel zusammengehalten
wurde. »Du beschützt mich in jeder Gefahr«, sagte er. »Dein Hochzeitsgeschenk ist immer bei mir, als wärst du selbst an meiner
Seite und könntest jede Gefahr von mir abwenden.«
Thusnelda lächelte und griff an ihren Hals. »Auch mir kann nichts geschehen, solange ich deine Liebesrune trage.«
Sie war seine Morgengabe gewesen. Ein sorgfältig bearbeitetes Stück Metall, in das Arminius die Rune geritzt hatte, die auch
sein Schwert trug. Das Schwert, das sein Vater ihm auf dem Totenbett in die Hand gegeben hatte, trug das gleiche heilige Zeichen,
das den Kontakt mit den Göttern ermöglichte. Die Liebesrune an Thusneldas Hals bestand aus einem Rad mit sechs Speichen, dazwischen
waren sechs Herzen eingeritzt. Ihr Lebensstern, so hatte Arminius diese Rune genannt. Und Thusnelda war fest davon überzeugt,
dass sie mit dieser Rune am Hals vor allem Bösen geschützt war. Am Tag nach ihrer Hochzeit hatte Arminius ihr die Liebesrune,
die an einem kräftigen Lederband befestigt war, um den Hals gelegt. Seitdem nahm Thusnelda sie nur ab, wenn sie von Inaja
gewaschen wurde. Auch Arminius trug die Kordel, die Thusnelda ihm geflochten hatte, ständig. Starkes Rindsleder hatte sie
dafür verwendet und die zwölf Lederbänder so fest miteinander verknüpft, dass sie |212| während des Gebrauchs immer mehr zu einer Einheit wurden, die nie mehr zu trennen war. Und viel Symbolik hatte Thusnelda hineingeflochten:
eine Bernsteinperle aus dem Schmuck ihrer Mutter, die Unheil abwenden sollte, Haare aus der Mähne von Arminius’ bestem Pferd,
winzige Kiesel von den Wegen der Teutoburg, zudem unzählige Zauberknoten, die die Dämonen der Krankheit und des Sterbens zurückhielten.
Jeden Morgen, wenn Arminius sich ankleidete, band er als letztes die Kordel um seinen Kittel.
»Es wird nie wieder so gute Voraussetzungen geben.« Auch Arminius flüsterte nun. »Varus ist ohne Misstrauen. Er glaubt, die
Cherusker seien so friedlich, weil ich sie im Griff habe. Auch, dass es in den anderen Stämmen zurzeit ruhig ist, hält er
mir zugute. Er glaubt, die Stämme hören auf mich und haben sich in die römische Verwaltung gefügt, weil ich sie von den Vorteilen
überzeugt habe. Varus ist begeistert. Er erzählt mir bei jeder Gelegenheit, wie gut es ist, dass ich nicht mehr in Rom, sondern
in Germanien diene. Er ahnt nicht, dass ich diese Ruhe angeordnet habe, damit wir gemeinsam gegen Rom angehen können.«
Er griff nach ihrer Hand, langsam setzten sie ihren Weg fort. Thusnelda war überrascht, als er plötzlich fragte: »Glaubst
du wirklich, dass Inaja sich nach Hermut gesehnt hat?«
»Natürlich«, gab Thusnelda erstaunt zurück. »Er war lange unterwegs, um für dich Krieger anzuwerben. Er ist sehr selten in
die Teutoburg zurückgekehrt. Und wenn, dann immer nur kurz. Inaja braucht ihren Mann. Und der kleine Gerlef braucht seinen
Vater.«
Als Arminius schwieg, wurde sie unruhig. »Stimmt was nicht mit den beiden?«
Arminius zuckte mit den Schultern. »Hermut ist unglücklich, das spüre ich. Ich kenne ihn genau. Er liebt Inaja über alles,
aber … liebt sie ihn auch?«
»Natürlich liebt sie ihn«, gab Thusnelda heftig zurück. »Aber sie ist unglücklich wegen der vielen Fehlgeburten.«
|213| Inajas erstes Kind war zum Glück gesund zur Welt gekommen. Danach aber hatte keine Schwangerschaft länger als drei, vier Monate
gedauert. Auch hier meinten Thordis, Wiete und die Mägde den Grund zu wissen: das böse Omen! Die Götter zürnten, indem sie
Thusnelda nicht schwanger werden ließen und Inajas Schwangerschaften alle vorzeitig beendeten.
Als sie auf die Tür des Hauses zugingen, trat Flavus aus dem Schatten des Heuschobers. »Gut, dass ich dich noch treffe«, sprach
er Arminius an, »so kann ich mich von dir noch verabschieden.«
»Du musst zurück nach Rom?« Arminius reichte seinem Bruder die Hand. Einmal mehr konnte Thusnelda beobachten, wie kühl die
beiden miteinander umgingen. »Einen Besuch bei Varus werde ich noch machen«, erklärte Flavus. »Ich soll
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