Die Frau des Germanen
zum Abschluss zu bringen. Bisher hatte sie sich keine Gedanken darüber gemacht, wie es Gaviana in diesem
Bordell ergehen mochte, aber seit sie beschlossen hatte, sie zurückzuholen, wollte sie nicht, dass jemand davon erfuhr. Die
schöne Severina machte eine ehemalige Prostituierte zu ihrer Hauptsklavin? Nein, das durfte sich nicht herumsprechen. Noch
schlimmer wäre es, wenn Agrippina zu Ohren käme, was sie getan hatte. Eine Sklavin an ein Bordell zu verkaufen war das Schlimmste,
was man ihr antun konnte. Agrippina hatte sogar einmal behauptet, es wäre noch schlimmer, als eine Sklavin in der Arena des
Amphitheaters gegen ein wildes Tier kämpfen zu lassen. »Das Leiden ist wenigstens kurz«, hatte sie gesagt, »während in einem
Bordell der Körper einer Frau Tag für Tag ein bisschen stirbt. Eine perfide Strafe!«
Dass Severina zu einer solchen Grausamkeit fähig gewesen war, würde Agrippina ihr nicht verzeihen. Und obwohl Severina |216| sich immer wieder sagte, dass ihr die Meinung ihrer Schwägerin gleichgültig sein konnte, musste sie doch irgendwann bekennen,
dass sie sich etwas vormachte. Nein, sie wollte nicht von Agrippina grausam genannt werden. Erst recht wollte sie ihr nicht
gestehen, warum sie Gaviana derart grausam bestraft hatte.
Da Severina nie in ihrem Leben unter einem schlechten Gewissen gelitten und auch nie so etwas wie Scham verspürt hatte, wurde
sie sich über den Ursprung des unguten Gefühls, das sie bedrängte, nicht klar. Sie wusste nur, es quälte sie, seit Gaviana
das Haus verlassen hatte. Seitdem versuchte sie, Terentilla dafür büßen zu lassen, aber das ungute Gefühl war dennoch nie
von ihr abgefallen. Jetzt hatte sie geschafft, daraus Taktik und Spitzfindigkeit zu machen. Das waren Instinkte, mit denen
sie sehr gut umgehen konnte. Aus dem unguten Gefühl war Schlauheit geworden! Sie holte sich Gaviana zurück, sie sicherte sich
damit ihre Dankbarkeit, sie konnte sich in der Erkenntnis sonnen, eine Sklavin gut zu behandeln, wie das für Agrippina selbstverständlich
war, und sie konnte sich damit die Loyalität ihrer Schwägerin sichern. Sie brauchte Menschen, die es nicht nur gut mir ihr,
sondern vor allem mit Silvanus meinten. Auch Germanicus würde, wenn seine Frau es von ihm verlangte, nichts tun, was Severina
und ihrem Sohn schaden könnte. Severina lächelte in sich hinein. Aus dem unguten Gefühl war nun sogar die Erkenntnis geworden,
dass sie ein guter Mensch war. Ein unglaubliches Gefühl!
Entschlossen stieg sie aus ihrer Sänfte und ging auf den Hauseingang zu. Der Sklave, der sie begleitete, sprang erschrocken
zur Seite, als in einem der oberen Stockwerke des Nachbarhauses ein Kübel mit Abfall auf die Straße entleert wurde. Severina
schüttelte sich. Wie konnte der reiche Pollio nur in diesem Dreck leben? Wenn seine fette, selbstgefällige Gemahlin ihr das
nächste Mal begegnete, würde sie aus ihrer Verachtung keinen Hehl machen!
Kaum hatte sie das Haus betreten, war sie geneigt, ihre Meinung zu überdenken. Das Innenleben des Hauses unterschied |217| sich gründlich von seinem Äußeren und der Umgebung. Pollio führte Severina in einen großen Raum, dessen Wände von herrlichen
Mosaiken bedeckt waren. An der Wand gegenüber der Tür hatten die Mosaikkünstler eine besondere Leistung vollbracht: Die Sonne
ging im Meer unter; im Vordergrund, am Strand, waren Zypressen und Palmen zu erkennen.
»Das ist der Blick aus meiner Strandvilla in Ostia«, erklärte Pollio stolz.
Mitten im Raum stand ein großer Tisch mit einer polierten Marmorplatte, auf dem Früchte, Käse, Pasteten und Wein angerichtet
waren. Die Polster der Liegesofas waren mit hellgelben seidenen Decken überzogen, auch die Stützkissen schimmerten seidig.
Auf dem Bodenmosaik lagen makedonische Teppiche, schwarz polierte Stühle mit geschwungenen Armlehnen standen an den Wänden.
Kunstvoll verarbeitete Öllämpchen aus Silber hingen darüber.
»Welche Ehre!«, rief Pollio immer wieder und klatschte in die Hände, damit die Sklaven kamen, um Severina zu bewirten. Da
konnte sie noch so sehr abwehren, Pollio ließ sie erst auf den Grund ihres Besuchs zu sprechen kommen, als sie von den Früchten,
dem Käse und den Pasteten probiert und ein Glas verdünnten Wein getrunken hatte.
»Gaviana?« Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Ja, ich erinnere mich, dass Ihr mir eine Sklavin verkauft habt. Aber ehrlich
gesagt … ich habe keine Ahnung, welche
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