Die Frau des Germanen
Arminius zum Thing aufgebrochen war. Vorsichtig tastete sie unter ihren Rock, zog die Hand aber
schnell wieder zurück. Atmen, ganz ruhig atmen und nur an das Glück denken, nicht an den Schmerz.
Sie hörte, dass Flavus zum Pferdestall ging und dort Anweisungen für seinen Aufbruch gab. Plötzlich mischte sich eine helle
Kinderstimme ein. Gerlef! Warum schlief er nicht? Sie hatte ihn doch längst ins Stroh gelegt zu den Kindern der anderen Mägde!
Wahrscheinlich war er aufgewacht, hatte nach seiner Mutter gesucht und sie nicht gefunden. Hoffentlich war Hermut nicht darauf
aufmerksam geworden!
Sie kroch auf allen vieren bis zu einer Stelle, wo sie die Fackel sehen konnte, die den Eingang zum Stall beleuchtete. Flavus
stand breitbeinig vor seinem Pferd und tätschelte ihm die Blesse, Gerlef blickte zu ihm auf. Wie vertrauensvoll der Kleine
war! Wie sicher er sich fühlte in Flavus’ Gegenwart! Aber dann hob Flavus die Hand. Inaja keuchte erschrocken, versuchte sich
aufzurichten, zu ihm zu laufen, ihm zu zeigen, dass sie da war, aber da sah sie, dass Flavus ihrem Sohn über den Kopf strich.
Sanft, beinahe zärtlich. Ein Anblick, der so schön war, dass er wehtat und damit noch schöner wurde. Inaja richtete sich auf,
stark und selbstbewusst. Das Glück war es, was ihr Kraft gab. Ja, das Glück. Sie war die Geliebte eines Fürsten, der freundlich
zu ihrem Sohn war! Was für ein Glück!
Die ersten Schritte taten noch weh, aber dann ging sie aufrecht und ohne zu zögern zur Tür des Pferdestalls. Flavus beachtete
sie nicht, als sie Gerlefs Hand nahm. »Komm mit, du musst schlafen.«
Ihr Blick fiel auf eine schwere Deichsel, die sich in den Weg |223| gelegt hatte. Wie leicht konnte man darüber stolpern und sich verletzen, wenn man unglücklich fiel! Daran musste sie denken,
wenn sie sich später zu Hermut legte.
Der Kleine folgte ihr ohne Widerspruch. Als Inaja einen Blick zurückwarf, stellte sie fest, dass Flavus ihr nachsah, ihr und
ihrem Sohn. Er ein Fürstensohn und sie eine niedrige Magd.
Sie legte das Kind wieder ins Stroh, direkt neben das Gatter, hinter dem die Kühe wiederkäuten. Das sanfte Geräusch würde
ihn müde machen.
Der krampfartige Schmerz setzte in dem Moment ein, in dem sie über die Schwelle des Hauses trat. Am liebsten hätte sie wieder
kehrtgemacht und sich in eine stille Ecke verkrochen, bis alles vorüber war. Aber Thusnelda hatte sie bemerkt und winkte sie
freundlich an ihre Seite. Zögernd ließ Inaja sich neben ihr nieder. An diesem Abend hätte sie sich lieber auf einen Schemel
an die Wand gesetzt, wo die anderen Mägde hockten. An anderen Tagen war sie stolz darauf, dass sie neben Thusnelda, Thordis
und Wiete am Feuer sitzen durfte, aber heute …
Sie presste die Hände auf den Unterleib und ließ sich vorsichtig auf die steinerne Bank sinken. Thusnelda warf ihr einen besorgten
Blick zu. »Du siehst blass aus. Macht dir die Schwangerschaft zu schaffen?«
»Übelkeit und Bauchschmerzen«, antwortete Inaja leise. »Nichts Besonderes.«
»Bauchschmerzen?« Thordis blickte auf und sah Inaja streng an. »Es wird doch nicht wieder eine Fehlgeburt geben?«
Thusnelda legte schützend den Arm um Inaja. »Macht ihr keine Angst, Mutter.«
Thordis warf ihrer Schwiegertochter einen kühlen Blick zu. Schon bald nach der Hochzeit hatte sich ihr Blick abgekühlt und
war Monat für Monat kälter geworden. »Nicht ich mache ihr Angst. Die Angst hat ihr die Göttin geschickt.« Sie nickte Thusnelda
zu. »Und dir auch.«
Thusnelda schluckte, nahm den Arm von Inajas Schulter, und Wiete ergänzte überflüssigerweise: »Das böse Omen!«
|224| Thordis nickte. »Ich hätte diese Heirat verhindern müssen.«
Thusnelda blickte auf ihre Hände und antwortete nicht.
Inaja vergaß für einen Moment ihre Schmerzen. Wie gern hätte sie ihre Herrin jetzt verteidigt! Sie wusste ja, wie sehr Thusnelda
selbst unter ihrer Kinderlosigkeit litt. Und wie sehr es ihr zu schaffen machte, dass sie die Anerkennung ihrer Schwiegermutter
verloren hatte. Das böse Omen schlich sich von Herz zu Herz und erzeugte Misstrauen, Angst und Verachtung.
In diesem Moment trat Hermut vom Stall in den Wohnraum. »Das wäre erledigt!«, sagte er zufrieden, klopfte sich die Hände an
seinem Kittel ab und lächelte Inaja an. »Ich habe das Wespennest ausgehoben. Diese Plagegeister werden dich nicht noch einmal
so zurichten.« Er sah in Thordis’ erstauntes Gesicht und ergänzte:
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