Die Frau des Germanen
»Inaja ist von den Wespen angegriffen worden, und jetzt
sind die Wunden alle entzündet. Ihre Brust sieht erbarmungswürdig aus.«
Inaja befürchtete, er würde sie auffordern, ihre Bluse zu öffnen, um den anderen Frauen ihre Verletzungen zu zeigen. Aber
bevor Hermut etwas sagen konnte, schnitt der Schmerz mit einer solchen Wucht in ihren Leib, dass sie leise aufschrie. Verzweifelt
krümmte sie sich und umschlang mit beiden Armen ihren Leib. Ganz fest! So fest wie möglich! Wimmernd versuchte sie zu halten,
was sich aus ihrem Körper lösen wollte. Sie krümmte sich tiefer, presste die Schenkel zusammen, beugte sich so weit wie möglich
über ihren Schoß.
Hermut war der Erste, der begriff, was geschah. »Nein! Nicht schon wieder!«, schrie er. Mit zwei, drei Schritten war er bei
Inaja und ließ sich neben ihr auf die Knie fallen. Verzweifelt griff er nach ihren Händen. »Inaja! Geliebte!«
Aber sie schüttelte ihn mit einer müden Bewegung ab. Sie war seine Frau, nicht seine Geliebte. Als er versuchte, ihren Oberkörper
aufzurichten, stieß sie ihn sogar mit dem Fuß weg. »Lass mich!«
Thordis erhob sich und schob Hermut zur Seite. »Das ist Frauensache!« Sie griff unter Inajas Achseln und half ihr beim Aufstehen.
»Wir gehen in den Stall. Das Stroh ist warm.«
|225| Inaja wollte sich gegen ihre Hilfe auflehnen, aber für einen wirklichen Widerstand war sie zu schwach. Die Kraft verließ sie
mit dem Blut, das aus ihr herausfloss. So musste sie zulassen, dass Thordis und Wiete sie in ihre Mitte nahmen und sie wegführten.
Das Stroh, auf das sie gelegt wurde, war im Nu blutdurchtränkt. Inaja schloss die Beine fest und versuchte erneut, Thordis
mit beiden Händen abzuwehren, doch die sorgte mit einem kurzen Blick zu Wiete dafür, dass ihre Tochter Inajas Arme festhielt.
»Das hilft nichts!«, sagte sie grob. »Wir müssen sehen, ob alles aus deinem Körper herausgeblutet ist. Wenn was drin bleibt,
gibt es schlimme Entzündungen.«
Inaja merkte, dass sie unterlegen war. Gegen Thordis und Wiete kam sie nicht an. Also fügte sie sich notgedrungen, streckte
sich aus und ließ zu, dass Thordis ihre Beine spreizte. Noch bevor Wiete eine Fackel geholt hatte, um für Licht zu sorgen,
sagte Inaja: »Ich bin gestolpert und in eine Deichsel gefallen, die im Wege lag. Anscheinend habe ich mich stark verletzt.
Es tat sehr weh, und danach … danach kam das Blut.«
Sie hielt die Augen geschlossen, um Thordis’ und Wietes Gesichter nicht sehen zu müssen. Schlimm genug, dass sie hören musste,
wie Thordis leise aufschrie und Wiete erschrocken die Luft einsog.
»Wie konnte das nur passieren?«, rief Thordis. »Eine Deichsel? Da ist eine Fehlgeburt kein Wunder! Bei Freya, es sieht wirklich
so aus, als wollte die Göttin dir kein weiteres Kind zubilligen!«
Inaja presste Lippen und Augen fest zusammen, als Wiete auch diesmal ergänzte: »Das böse Omen!«
Es war eine klare Nacht, eine Nacht voller Geräusche, eine Nacht, in der die Welt zu vibrieren schien, in der der Schlaf nicht
willkommen war, in der er so leicht war wie die Nacht selbst. Thusnelda lag wach auf ihrem weichen Fell, den linken Arm ausgestreckt
und die flache Hand dort, wo sie sonst Arminius’ |226| schlafenden Körper fand. Sie hatte Angst. Die Nacht war bald vorbei, aber Arminius war noch nicht zurückgekehrt. Was, wenn
es auf dem Thing zu einer Auseinandersetzung gekommen war? Wenn einer der Stammesfürsten, die Arminius an seiner Seite glaubte,
wortbrüchig geworden war? Wenn Ingomar und Segestes wussten, was Arminius plante? Dann wurde er jetzt vielleicht zu Varus
geschleppt, wo ihn ein schreckliches Urteil erwartete.
Sie drehte sich auf die Seite, griff nach Arminius’ Fell und schmiegte sich daran, als könnte es ihr einen Teil seiner Wärme
geben. Sie fühlte sich einsam – nicht nur, weil er nicht bei ihr war, sondern vor allem, weil ihr am Abend klar geworden war,
dass seine Familie ihr nicht mehr nah war. Seine Mutter war von ihr abgerückt und seine Schwester ebenfalls, die ihr eigenes
Leid nur ertrug, indem sie auch andere leiden ließ. In dieser Nacht fehlte ihr sogar Inajas Nähe, obwohl sie keine zehn Schritte
von ihr entfernt neben Hermut im Stall lag. Thusnelda begriff, dass jede Schwangerschaft in ihrer Umgebung sie ein Stück einsamer
machen würde. Als Frau, die ihrem Mann kein Kind schenken konnte, gehörte sie nicht dazu. Solange sie der Mutterschaft fern
war, würde
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