Die Frau des Polizisten
möchte Sie aber trotzdem bitten, sie ehrlich zu beantworten. Kann es nicht sein, dass Sie ihren Aufenthaltsort vielleicht doch kennen? Es aber nicht über sich bringen, darüber zu sprechen?«
Jan Olof reagierte nicht, sondern zog sich innerlich zurück. Er verharrte in der immer gleichen Position und wiegte seinen Körper leise hin und her, den Blick auf einen Punkt in der Ferne, weit draußen auf die Bucht gerichtet. Erika schluckte, spürte, wie der Sauerstoff im Zimmer zur Neige ging, wie der Kummer und die Ungewissheit sich wie ein Dämon an sie heranschlichen. Dann seufzte Jan Olof erneut.
»Sie sind die Einzige, die mir in dieser ganzen Zeit zugehört hat. Nun, und Ingemar natürlich …«
Er lächelte flüchtig.
»Ich fühle mich so allein, es ist alles so leer, so bedeutungslos. Verstehen Sie? Das hier ist kein Zuhause mehr. Es ist nur noch ein Haus – ein Haus, in dem auch jemand anderes wohnen könnte, eine junge Familie mit Kindern vielleicht. Die es renoviert und den Ausblick genießt, im Sommer auf der Terrassegrillen würde, während die Kinder auf dem Rasen spielen …«
Seine Augen füllten sich erneut mit Tränen. Jan Olof schluchzte, das Gesicht in den Händen vergraben. Erika musterte ihn besorgt. Was er da schilderte, klang wie sein eigener persönlicher Wunschtraum. Ein Traum, den er und seine Frau nicht hatten leben dürfen.
Es gab so viel im Leben des Paares, worauf Erika sich immer noch keinen Reim machen konnte. Sie gehorchten keinem Schema, waren nicht wie die anderen schwedischen Paare mit einem Haufen wilder Gören, zwei Autos und einer gewöhnlichen Arbeit, die sich freitags auf dem Sofa vor dem Fernseher zusammenscharten, Tacos mit Avocadodip aßen, Wein aus dem Dreiliterkarton tranken und darauf sparten, einmal im Jahr nach Thailand reisen zu können, oder ein Boot in der Askimsviken besaßen.
»Dann sind Sie also am Ende Ihrer Ermittlungen?«, fragte er, sich plötzlich an Erika wendend. »Sie können nichts finden? Ist es hier zu Ende?«
Erika hatte große Lust, einfach zu nicken, hielt sich aber so gut es eben ging zurück. Er sollte die Frage selbst beantworten. Sie kannte die Antwort nicht.
Per stand währenddessen regungslos im Türrahmen zum Schlafzimmer. Er hielt sich im Hintergrund und ließ Erika das Gespräch mit Jan Olof führen. Er sah sich um. Die ganze Einrichtung des Hauses verströmte diskreten Luxus, war kostspielig und ausgesucht. Und so ordentlich, dass es fast schon pedantisch war. Kein Buch ragte aus dem Regal hervor, nicht ein Gemälde hing schief, keinerlei Papiere lagen offen herum. Doch trotz der akkuraten Ordnung strahlte das Haus Chaos aus, zeugte von Untergang und Verderben. Ein paar Schranktüren standen einen Spalt offen. Ein Anzug lugtehervor und war in der Tür eingeklemmt. Das Bett war ungemacht, wenn auch nur auf einer Seite. Der Überwurf war nachlässig zur Seite weggezogen worden, und das Betttuch war zerwühlt und sah aus, als wäre ein Mensch darin eingewickelt gewesen, der stark geschwitzt oder sich lange nicht darum gekümmert hatte, seine Bettwäsche zu waschen.
Per trat ans Bücherregal und fuhr über die Buchrücken, stieß aber auf nichts von Interesse. Er hörte Erikas gedämpfte Stimme aus dem Wohnzimmer und Jan Olofs einsilbige Antworten. Als Per sich umdrehte, blieb sein Blick an zwei Bildern mit gelackten Holzrahmen hängen, die hinter der Schlafzimmertür hingen. Sie sahen antik aus. Er lehnte sich vor. Ansprechende Fotos, die einen schönen, weichen und üppigen Frauenkörper zeigten, der ausgeklügelt mit dünnen Seilen gefesselt war. Er wich zurück und betrachtete die Aufnahmen genauer. Die Rahmen waren zwar antik oder zumindest alt, aber die Bilder schienen mit einer modernen Kamera gemacht worden zu sein …
Er verließ leise das Zimmer, lief den Flur hinunter und ging methodisch alle Zimmer durch. Nichts schien verändert worden zu sein, nichts erregte seine Aufmerksamkeit. Er öffnete die Treppentür und ging leise hinunter in die Garage. Eine feine Staubschicht hatte sich auf den kleinen Zweisitzer gelegt. Der dunkle Audi glänzte, wies an den Seiten jedoch Spuren von Lehm und Streusalz auf. Jan Olof scherte sich wohl nicht mehr um das Aussehen seines Wagens.
Per schob vorsichtig die Tür zum Kellerraum auf. Er ließ seinen Blick über die Regale an den Wänden schweifen, auf denen beschriftete Umzugskartons standen. Daneben befanden sich Gartenzubehör, Kleiderstangen, Ski und ein Weihnachtsbaum aus
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