Die Frau des Polizisten
aus.
»Helene Christensen, weißt du, die Witwe von …«
Per wusste, von wem die Rede war.
»Am Ende der Straße, an der sie baut, liegen ein paar Sommerhäuser. Sie hat mich angerufen. Der Mann, dem das eine Haus gehört, will dort nicht länger wohnen bleiben. Angeblich kommen andauernd Leute und drängen ihn, es an sie zu verkaufen, und darüber hinaus hat er sich mit seinen Kindern zerstritten. Er hat eine neue Frau kennengelernt, und die Kinder streiten sich ums Erbe … Tja, eine lange Geschichte.«
Per unterbrach sie kurz und holte die Flasche Grappa und zwei Gläser und ging damit ins Wohnzimmer.
»Das musst du mir erklären«, sagte er mit spöttischem Lächeln. »Soweit ich mich erinnere, bist du nicht gerade versessen aufs Meer?«
Erika lachte. Sie setzten sich und redeten lange, darüber, wie sie sich nach einer Weile dort draußen heimisch zu fühlen begonnen hatte, dass der Ausblick sie an den Storsjön in ihrer alten Heimat erinnerte und dass ihr das Gefühl von Weite und der freie Blick gefielen. Per nippte an seinem Grappa, seine Augen nahmen einen warmen Glanz an, während er ihrer Erzählung lauschte. Nach einer Weile verstummte sie. Es war dunkel geworden, die einzige Lichtquelle in der Wohnungwar in der Küche. Per saß mit dem Rücken zum Fenster, seine Augen lagen im Schatten.
»Wie geht es dir eigentlich?«, fragte Erika, plötzlich verlegen, weil sie ihn nicht schon eher danach gefragt hatte. Per schwieg lange, bevor er antwortete.
»Mir geht es gut. Aber es war hart. Ich habe meine Mutter verloren, aber meine Familie wiedergewonnen.«
Sein Blick fixierte einen langen Moment die Flüssigkeit im Glas. Er war blass und wirkte bedrückt. Erika schwieg. Sie wollte so vieles fragen, aber es schien nicht der richtige Zeitpunkt dafür zu sein.
»Ich muss bald wieder hinfahren, zur Beerdigung. Es ist so leer in mir, ich bin so unendlich traurig. Ich habe das Gefühl, meine Mutter im Stich gelassen zu haben, auch wenn ich weiß, dass sie nicht so dachte. Ich habe meinen Bruder und seine Familie besucht, habe ihr Hotel, ihr Zuhause gesehen – ich bin dankbar dafür. Dass ich Wurzeln habe, richtige Wurzeln. Die Verwandtschaft nicht nur aufgrund genetischer Gemeinsamkeiten existiert, wenn du weißt, was ich meine.«
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, er stand auf. Erika starrte vor sich hin in die Dunkelheit, fühlte sich ohnmächtig und wusste nichts zu sagen.
»Du kannst weiterhin im Bett schlafen, ich nehme das Sofa.«
Er räumte ab und verschwand in der Küche. Erika ging ins Badezimmer. Als sie herauskam und die Tür schwungvoll öffnete, rannte Per mit voller Wucht dagegen. Er stöhnte, richtete sich aber gleich wieder auf und berührte ihre Wange.
»Musst du immer gleich handgreiflich werden? Wenn du willst, dass wir Freunde werden, musst du es anders anfangen …«
Er lächelte schelmisch und ließ die Finger über ihre Wangelaufen. So standen sie eine gefühlte Ewigkeit, zwei Menschen, die in diesem Moment nichts voreinander verbargen, ihre Körper waren wie elektrisiert. Per seufzte, der Zauber war gebrochen.
Er nahm eine Wolldecke vom Stuhl und ging damit zum Sofa. Erika verharrte regungslos und horchte auf die Geräusche aus dem Wohnzimmer. Noch lange spürte sie die Wärme seiner Finger wie eine glühende Spur auf ihrer Haut …
Kapitel 59
Wieder einmal stand Erika auf der Treppe des Bungalows auf dem Bergrücken des Trollåsens. Sie verspürte ein diffuses Gefühl des Unbehagens. Das Haus wirkte abweisend, wie ein Mensch, der aufgegeben und sich verkrochen hatte – zugezogene Gardinen, dunkle blanke Fenster, die aussahen wie leere Augenhöhlen. Kein Auto stand auf der Auffahrt, keine Gegenstände lagen auf dem Grundstück, nichts rührte sich. Der einzige Hinweis darauf, dass das Haus bewohnt war, waren eine Reihe säuberlich verknoteter Mülltüten, die neben der Garagentür aufgestapelt lagen.
Sie hatte Bengt davon überzeugen können, Jan Olof ein letztes Mal zu verhören, bevor sie die Ermittlungen endgültig einstellten, obwohl es so aussah, als hätte Barbro einen Batzen Geld von verschiedenen Kunden eingetrieben und das Land verlassen – allein oder in Begleitung. Trotzdem fiel es Erika schwer aufzugeben, vielleicht gerade, weil alles so plausibel erschien. Bengt hatte protestiert und eingewandt, dass ihr ihre schlechten Erfahrungen einen Streich spielten. Erika wollte das nicht ausschließen, hatte aber trotzdem auf ihrem Standpunkt
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