Die Frau des Polizisten
fallen. Seine Post hatte sich wie eine Schneewehe hinter der Tür aufgehäuft. Er bückte sich und ging rasch den Stapel durch, das meiste davon der übliche Scheiß und ein paar Rechnungen. Und ein rosafarbenes duftendes Kuvert. Er seufzte, riss es auf und warf nur kurz einen Blick auf die krakelige Handschrift, ohne den Brief überhaupt näher in Augenschein zu nehmen, wusste er doch auch so schon, was drinstand. Würde sie denn niemals aufgeben? Sie hatten sich zufällig in einer Bar kennengelernt, waren eine Zeitlang miteinander ausgegangen. Dann hatte er genug gehabt. Und jetzt, noch ein halbes Jahr später, schrieb sie ihm endlose Liebeserklärungen. Versteh einer die Frauen!
Per ging zum Vorratsschrank, schenkte sich ein Glas gut abgelagerten Grappas ein und schaute aus dem Küchenfenster. Er blickte auf die Hafeneinfahrt, ohne das Glas anzurühren. Die Lichter der Fährterminals gaben dem hauchdünnen Nebel, der vom Heizkraftwerk bei Rosenlund herübergeweht kam, eine orangeblaue Färbung. Das durchscheinende Abendlicht spiegelte sich im Fluss, und er folgte dem flüchtigen Schimmer bis hin zur Mündung und den vorgelagerten Inseln.
Vom Heizkraftwerk bis nach Klippan war die ganze Küstenregion von der Reederei Stena Line okkupiert, irgendeine seltsame Übereinkunft, die zur Folge hatte, dass morgens und abends der Schwerlastverkehr mitten durch die Innenstadt donnerte. Eine Tatsache, die von der Stadtvertretung noch nicht einmal diskutiert wurde. Kein Wort davon, der Bevölkerung den Landstrich zurückzugeben und allen Einwohnerneinen Zugang zum Meer zu ermöglichen – jedenfalls nicht dort.
Wenn die wüssten, dass jede Woche Lkws mit hochexplosivem Sprengstoff durch das Zentrum fahren, dachte Per und betrachtete mürrisch das erleuchtete Parkhaus und die zu allen Seiten aufragenden Terminals mit Schiffen, die das Fassungsvermögen kleinerer Ortschaften hatten und mit laufendem Motor auf die nächste Fahrt warteten. Wenn es zur Explosion käme, wäre der Stadtteil Majorna nur noch Geschichte.
Per lehnte die Stirn gegen die angenehme, betäubende Kühle der Scheibe, um seine Spannungsfalten zu lindern. Er legte die Hand auf das Fensterglas und spürte die Kälte auf der anderen Seite. Er musste an Erika denken. An das intensive Blau ihrer Augen, das durch die dunkle Umrandung der Iris noch unterstrichen wurde. Die unförmige und burschikose Kleidung, die sie wie eine schützende Hülle trug. Das kaum sichtbare Make-up, aufgetragen, um die blauen Flecken und Schrammen zu verbergen.
Sie arbeitete schweigend emsig vor sich hin, verbissen und auf der Hut. Körperlich anwesend, aber nicht geistig. Er musste zugeben, dass ihre distanzierte Art ihm allmählich auf die Nerven ging. Warum entschied sie sich für eine fremde Stadt und übernahm dann bloß eine Vertretungsstelle für ein halbes Jahr? Warum tat sie sich das an? Es wäre ein Leichtes, Torbjörns Argumentation zu folgen, dass sie etwas zu verbergen hatte, dass ihr Verhalten verdächtig war, dass sie sich entschieden hatte, vor ihren Fehlern davonzulaufen. Aber es gab auch ein anderes vorstellbares Szenario, das ihr seltsames Auftreten erklären könnte.
Er drückte auf die Fernbedienung. Der Fernseher im Wohnzimmer sprang mit einem Knistern an, und abgehackteWortfetzen prasselten auf ihn ein. Er löste sich von der Fensternische, ging hinüber und starrte auf den breiten Bildschirm, der das Gesicht des bedeutendsten Kommunalrats in Großaufnahme zeigte.
»Uns macht das große Sorgen«, schnaubte das fleischige Gesicht empört. Seine kleinen rotgeränderten Augen glotzten gereizt in die Kamera, als ob gegen ihn persönlich Drohungen gerichtet worden seien, »… dass Politiker und Amtsträger nicht mehr sicher sind, ist ein Skandal. Wir werden uns der Sache annehmen. Wir werden nicht dulden, dass …«
Per stöhnte und drückte erneut auf die Fernbedienung. Das fleischige Gesicht des Kommunalrats verlor sich zu einem kleinen elektronischen Punkt auf dem Bildschirm. Rein gar nichts, das sie bislang herausgefunden hatten, deutete darauf hin, dass hinter dem Verschwinden Drohungen gegen Politiker und Angestellte des Staates steckten. Dagegen schien es jede Menge unzufriedene und unter Druck stehende Kunden zu geben, die das Pech gehabt hatten, Barbro als Sachbearbeiterin bekommen zu haben. Menschen, die ziemlich rachsüchtig oder verzweifelt gewesen waren. Oder aber alles war noch viel komplizierter, als sie dachten.
Ein Haus, ein Eigenheim. Der
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