Die Frau des Polizisten
Traum vom Glück und dem perfekten Leben in der perfekten Idylle, das, wonach alle Elterngenerationen strebten – ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen, als man es selbst gehabt hatte. Viel frische Luft, ein Rasen, auf dem sich Ball spielen ließ, eine eigene Sandkiste und eine Schule ohne Rowdys. Das Ideal war seit den Werbeplakaten für Fertighäuser in den 50er Jahren immer noch das gleiche – die glücklich lächelnde, quietschsaubere und glattgebügelte Kernfamilie.
Aber auch die Gier nach Besitz und das Verlangen nach Ansehen und Status. Es musste das richtige Grundstück, dierichtige Adresse mit einem ausreichend großen Haus und den richtigen Autos in der Einfahrt sein. Und es musste ein richtiger Architekt sein, der das Haus entworfen hatte. Nicht irgendein Möchtegernfuzzi einer Fertighauskette, sondern ein Architekt, der sich einen Namen gemacht hatte, der sein Geld wert war. Per erhob sein Glas.
»Ein Hoch auf die perfekte Familie.«
Er nahm einen ordentlichen Schluck und musterte beifällig die klare Flüssigkeit. Wenn das kein Grappa war! Er betätigte erneut die Fernbedienung, um nach einem seiner Lieblingsfilme zu suchen. Blade Runner ? Auf jeden Fall – Director’s Cut. Der Film, der Visionen von der Machtausübung in der Zukunft und der zerbrechlichen Schönheit des Lebens zeigte, melancholisch schön und grandios gedreht. Der zeigte, wie die mächtige Elite sorgenfrei in luftiger Höhe über der Stadt thronte, weitab vom dreckigen Moloch und dem täglichen Kampf ums Überleben. Das Nachrichtengewitter prasselte erneut auf ihn ein.
»… haben im Laufe des Tages aufgedeckt, dass mehrere Betriebsratsvertreter Geld für Restaurantbesuche, Alkohol, zollfreie Waren und Bordellbesuche veruntreut haben. Einige weibliche Mitglieder haben ausgesagt, es habe sexuelle Übergriffe auf sie gegeben und sie hätten auf erniedrigende Weise Sexspielzeuge aufgezwungen bekommen. Die Spitze des Betriebsrates …«
Per schnaubte und lächelte befriedigt. Bengts Sorgen würden endlich ein Ende haben, und das schneller als erwartet. Die Presse würde ihre Aufmerksamkeit auf die nächste Sensation richten. Die Medien waren wie Saurons Auge – einäugig starrten sie immer nur auf eine Sache. Per fühlte sich plötzlich unglaublich müde und zerschlagen und entschied sich, lieber sofort ins Bett zu gehen und zu lesen.
Er schaltete den Fernseher aus, zog das zuunterst liegende Buch aus dem Stapel und wollte gerade ins Badezimmer gehen, als er zwischen brausendem Verkehr, Stimmengewirr und Hundegebell das Klingeln seines Handys wahrnahm. Per warf einen trägen Blick auf das Display, das im Dunkeln wie ein Leuchtfeuer wirkte. Er nahm an, dass es die Rothaarige sei, die sich fragte, warum er sich nicht meldete. Das Handy brummte hartnäckig und wanderte auf dem Couchtisch. Per seufzte und ging ran.
»Per hier.«
»Hallo, Per, hier ist Tomas.«
Per erstarrte. Tomas? Die Stimme war ihm so nah und vertraut, trotzdem konnte er nicht glauben, dass es wirklich sein kleiner Bruder am anderen Ende der Leitung war.
»Hallo«, antwortete Per tonlos.
»Ich weiß, es ist schon eine Weile her …«, setzte Tomas an. Per dachte, dass die Stimme sich verändert hatte, dass die Jahre sie härter und reifer hatte werden lassen.
»Mutter geht’s schlecht, Per. Sie liegt in Östersund im Krankenhaus. Ich möchte, dass du herkommst.«
Per schwankte. Er hatte es natürlich geahnt, aber den Gedanken immer beiseitegeschoben. Trotzdem traf ihn die Nachricht vollkommen unvorbereitet. Er telefonierte jede Woche mit seiner Mutter, mindestens einmal, meistens sogar zweimal. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass sie selten wirklich miteinander sprachen, das alles unter der Oberfläche blieb, in der Stille zwischen den Worten hängend. Jetzt kam es ihm mit einem Mal so vor, als hätten sie sich gar nichts gesagt, nur Höflichkeitsfloskeln und leeres Gerede über das Wetter ausgetauscht.
»Aha«, krächzte er.
»Ich finde, du solltest herkommen, ich meine es ernst.«Per hörte seinen Bruder schlucken. Er bemühte sich, seine Stimme neutral klingen zu lassen und die Wut zu unterdrücken, die Per hinter der formellen Fassade ahnte.
»Es ist gut, dass du angerufen hast, Tomas. Ich komme, so schnell ich kann. Wo liegt sie?«
»Auf der Inneren, sie hat Krebs.«
Das Wort »Krebs« traf ihn mit voller Wucht. Sie beendeten das Gespräch, steif und mit wenigen Worten. Per starrte auf das Telefon. Seine Mutter würde sterben.
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