Die Frau des Praesidenten - Roman
auf. »Ich muss mal«, sagte er.
Ich schüttelte ihn ab. »Ich schlafe.«
»Komm mit.« Das Bad befand sich nicht in unserem Zimmer, sondern lag etwa fünf Meter den Flur hinunter. Er beugte sich über mich und knipste meine Nachttischlampe an. »Komm jetzt. Nur eine Minute. Ich beeil mich auch.«
Ich schirmte meine Augen mit dem Ellbogen ab. »Mach das Licht aus.«
»Nun komm schon«, bettelte und quengelte er zugleich. »Mir ist dieses Haus nicht geheuer.«
Ich nahm meinen Arm weg. »Du willst allen Ernstes, dass ich mit dir auf Toilette gehe?«
»Lindy, du weißt seit dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben, dass ich Angst im Dunkeln habe. Das war kein Werbegag.«
Ich schüttelte den Kopf, konnte mir ein klitzekleines Lächeln aber nicht verkneifen. Der Flur wurde von einem in die Steckdose gesteckten Nachtlicht schwach beleuchtet, doch wir konnten beide den Schalter für das Hauptlicht nicht finden, also lief ich voraus, und als eine Diele knarrte, flüsterte Charlie mir zu: »Hast du das gehört?«, und ich flüsterte zurück: »Beruhige dich. Dieses Haus ist an die hundert Jahre alt.«
Im Bad lehnte ich mich an einen niedrigen Heizkörper, während er sich vor die Toilette stellte. Nachdem er fertig war, drehte er sich um und gab mir einen Kuss. »Ich wusste, dass ich die richtige Frau geheiratet habe.«
»Wasch dir die Hände und lass uns zurück ins Bett gehen«, sagte ich.
Als ich wieder eingeschlafen war, träumte ich zum ersten Mal seit vielen Jahren von Andrew Imhof. Wir befanden uns in einem großen, undefinierbaren, überfüllten Raum – vielleicht war es eine schlecht beleuchtete Schulaula. Wir sprachen nicht miteinander, sahen uns noch nicht einmal an, doch ich nahmall seine Bewegungen wahr, meine gesamte Aufmerksamkeit war nur auf ihn gerichtet, auch wenn ich mir das nicht anmerken ließ. Dann war er plötzlich verschwunden, und ich war tief enttäuscht. Ich hatte vorgehabt, auf ihn zuzugehen, hatte gewusst, dass er sich das auch gewünscht hätte, aber ich hatte es so lange hinausgezögert, bis meine Chance vertan war. Als ich aufwachte, war es halb sieben, in unserem Zimmer wurde es gerade hell. Wir lagen in einem hohen Himmelbett unter einer derart dicken Steppdecke, dass ich ins Schwitzen geraten war. Die Enttäuschung wollte nicht weichen – ich wollte den Jungen aus dem Traum. Ohne den Kopf zu drehen, ohne Charlie anzusehen, wusste ich es. Nicht diesen. Den anderen. Andrew. Es wäre das Natürlichste auf der Welt gewesen, mit Andrew zusammen zu sein. Alles war arrangiert gewesen, ich hätte nur nachgeben müssen. Und dieses Gefühl, von einem gutaussehenden Jungen verehrt zu werden, dieses Gefühl, siebzehn zu sein, das Leben
vor
sich zu haben – wie konnte das alles schon so lange her sein, wieso hatte mich mein Weg stattdessen hierher geführt? Meine Enttäuschung hatte nichts damit zu tun, dass ich Charlie zur Toilette begleiten musste – das fand ich geradezu liebenswert. Es hatte mit allem anderen zu tun: Ich war nun mit einem aufstrebenden Politiker aus einer selbstgefälligen und vulgären Familie verheiratet (
verheiratet!
), hatte eine Schwiegermutter, die mich nicht leiden konnte, und einen Mann, der im Grunde genommen (selbst im Stillen gestand ich mir das nur selten ein) keinen Job hatte. Ich war dazu bestimmt gewesen, in Riley alt zu werden, niemals für Zotenreißerei oder Reichtum.
Charlie bewegte sich, zog mich an sich, und als ich endlich in sein Gesicht sah, löste sich der Traum auf. Ich rollte mich zu ihm, konnte mit den Zehen seinen Fußspann spüren, fühlte seine Wadenhaare an meinen Beinen und seine knochigen Knie – manchmal, wenn er sie gebeugt hatte, tat er mir damit beinahe weh –, und ich presste meinen Oberkörper gegen seinen, schmiegte mich an ihn, atmete den Duft seiner Haut ein. Er war gutaussehend; nicht so gutaussehend wie Andrew es gewesen war, denn Andrew war ein Teenager gewesen, vollkommenund mit goldgelbem Haar, doch bestimmt wäre er, würde er noch leben, heute nicht mehr genauso gutaussehend wie damals. Wenn sich das, was ich mit Charlie hatte, nicht genauso verheißungsvoll anfühlte wie das, was ich mit Andrew gehabt hatte, dann war das nur allzu logisch. Das frühere Versprechen war daran gebunden, niemals eingelöst zu werden. Charlie und ich kannten uns bereits jetzt viel besser, als Andrew und ich es je getan hatten. Charlie wusste vielleicht nicht den Namen der Bäckerei auf der Commerce Street, auch nicht den Grund,
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