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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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albern«, sagte ich.
    »Wir könnten durchbrennen, nach … Wohin wolltest du schon immer durchbrennen? In meiner Phantasie ist es Mexiko, aber da würde ich mir wahrscheinlich nur irgendwelche Parasiten einfangen. Kalifornien wäre wohl ein besserer Tipp.«
    »
So
viele Sorgen mache ich mir nun auch wieder nicht«, sagte ich.
    »Eine kleine Hütte am Strand, wir schlafen in einer Hängematte, ernähren uns von Meeresschnecken, die ich erlege, und du läufst in einem Kokosnuss-Bikini herum.«
    Was, wenn ich ja gesagt hätte? Nicht zu der Comic-Version, sondern zu einer echten Flucht, einem Umzug in einen anderen Staat? Ja zu einem selbst aufgebauten Leben, keinem geerbten, mit Abstand und Platz. Was hätten wir – hätte sichCharlie – fernab seiner Familie noch beweisen müssen? Hätte das, was in den darauffolgenden Jahren geschehen ist, verhindert werden können, hätte ich es durch bloße Kapitulation verhindern können? War Charlie weitsichtiger, als ich es ihm zutraute? Vielleicht sah er unsere Zukunft klarer vor sich liegen als ich. Oder vielleicht bluffte er auch nur.
    »Wir sind aus Wisconsin, Charlie«, sagte ich. »Dort gehören wir hin.«
     
    Und dann begann die Schule wieder, dieses unnachahmliche, unverwechselbare Lärmen schreiender, herumrennender Kinder vor dem morgendlichen Klingeln, die Ausleihformulare auf meinem Schreibtisch, die Konzentration, mit der die Kinder die Stifte hielten, um ihre Namen zu schreiben, und der Stolz derjenigen, die gerade Schreibschrift lernten. Ich las den Erstklässlern
Tico und die goldenen Flügel
vor und den Sechstklässlern
Blumen für Algernon
– ich war überzeugt, dass es den Elfjährigen immer noch gefiel, wenn man ihnen vorlas, auch wenn sie es nicht zugaben –, und die Viertklässler bastelten während der Origamistunden Papierkraniche. Montags morgens fanden die Versammlungen statt; wenn ich Pausenaufsicht hatte, hielt ich die Kinder bei den Hüpfspielen im Zaum, und zum Essen ging ich in die Cafeteria: Chili-Hotdogs, Salami-Pizza, Pfirsichhälften in Sirup, und an jedem zweiten Freitag gab es Frühstück zum Mittagessen, was die Schüler liebten und die Lehrer hassten – French Toast, Rösti und Würstchen. Wenn ich dann um viertel nach zwölf mit einem von Zucker, Stärke und billigem Fleisch verklebten Magen vom Essen aufstand, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als mich hinlegen zu können, doch dann kam schon die nächste Klasse anmarschiert, alle ganz aufgeregt, wer während des Vorlesens in einem der beiden Sitzsäcke sitzen durfte oder wer als Nächstes an der Reihe war, den neuesten
Superfritz
auszuleihen. Bei Schulschluss um drei war ich dann jeden Tag erschöpft, aber glücklich.
    Aber es gab einen Unterschied: Während ich in all den Jahren zuvor auch nach dem Unterricht Unmengen an Zeitmit Schuldingen verbracht hatte, ging diese Zeit nun gegen null. Früher war ich bis zum frühen Abend in der Bücherei geblieben, hatte Vorbereitungen für den nächsten Tag getroffen oder war nach dem letzten Klingeln am Nachmittag in Ritas Klassenzimmer gegangen, um mit ihr über Schüler zu sprechen, die mir Sorgen machten – hatte Rita auch den Ausschlag auf Eugene Demartinos Arm bemerkt, oder hatte sie den Eindruck, dass sich Michelle Vink und Tamara Jones gegen Beth Reibel verbündeten? Doch mit dem Beginn dieses Schuljahrs beeilte ich mich nach Schulschluss, zu meinem Auto zu kommen, und empfand es ansatzweise als lästig, wenn ich Aufsicht bei den Schulbussen hatte. Ich spürte den Druck meines anderen Lebens, meines Lebens mit Charlie – ich wollte in den Supermarkt gehen und für unser gemeinsames Abendessen einkaufen oder nach Hause fahren, um meine Wohnung aufzuräumen oder mir die Beine zu rasieren. An Tagen, an denen er sich weder mit Hank Ucker getroffen hatte noch nach Milwaukee zum Arbeiten gefahren war, nun, da wollte ich einfach nur Zeit mit ihm verbringen, mit ihm auf meinem Bett liegen, während die warme gelbe Nachmittagssonne durch mein Fenster fiel, und das genießen, was uns gehörte, das Neue und Spannende, solange es noch uns gehörte und neu und spannend war. In der Bibliothek war ich weiterhin engagiert und geduldig mit den Kindern. Doch außerhalb gab es Zeiten, in denen ich meine Schultasche an der Wohnungstür ablegte oder manchmal sogar im Auto vergaß und sie ab dem Moment, in dem ich die Schule verließ, bis zu meiner Rückkehr dorthin unbeachtet ließ. Stattdessen küsste ich Charlies Lippen, seine Oberarme, seinen

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