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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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verziert war.
    Der Liftboy trug unser Gepäck in die Wohnung. Das Zimmer, in dem ich schlafen sollte, war mit zwei Einzelbetten ausgestattet, zwischen denen ein weißer Marmortisch stand. Darauf befand sich eine Lampe mit einem großen, himbeerroten Fuß aus Riffelglas. Außerdem gab es einen richtigen Kofferständer, auf dem der Liftboy mein Gepäck ablegte. Zunächst hatte ich das Angebot des Mannes, unsere Koffer zu tragen, ablehnen wollen, doch als meine Großmutter zugestimmt hatte, tat ich es auch. Dann fragte ich mich, ob sie ihm ein Trinkgeld geben würde, was sie nicht tat. In ihrem Zimmer, das mit meinem durch ein gemeinsames Bad verbunden war, stand ein Himmelbett, dessen Baldachin aus silberblauer Schantungseide in der Mitte um einen kleinen runden Spiegel gerafft war.
    Das Wohnzimmer war ein Mix aus modernen und altmodischen Möbeln: zwei niedrige, eckige weiße Sofas, ein wirklich alt aussehender, mit Blattgold verzierter Sessel, ein drehbares Bücherregal aus Walnussholz sowie viele dicht an dicht hängende Stiche und Bilder, manche davon abstrakt. Als Dr. Wycomb ein Dienstmädchen in schwarzem Kleid und weißer Schürze bat, einen Manhattan zuzubereiten, hob meine Großmutter ihren Zeige- und Mittelfinger und sagte: »Und zwei Old Fashioned.«
    Dr. Wycomb sah mich durch ihre Katzenaugen-Brille an. »Möchtest du lieber einen heißen Kakao, Alice?«
    »Sie nimmt einen Old Fashioned«, sagte meine Großmutter, und zu dem Dienstmädchen gewandt: »Mit Brandy, nicht mit Whiskey.«
    »Oh, Myra weiß Bescheid«, sagte Dr. Wycomb lachend.»Vergiss nicht, ich komme auch aus Wisconsin, Emilie.« Nachdem das Mädchen den Raum verlassen hatte, sagte sie: »Zwischen Myra und mir herrscht quasi Rivalität. Sie ist Fan der White Sox, während mein Herz für die Chicago Cubs schlägt. Interessierst du dich für Baseball, Alice?«
    »Eigentlich nicht«, gestand ich.
    »Dazu bringen wir dich schon noch. Leider hatte Myra in der letzten Saison mehr Grund zur Freude, doch mit Ron Santo könnten die Cubs in diesem Jahr eine Chance haben.«
    Als Myra mit den Cocktails zurückkam, hob meine Großmutter ihr Glas und sagte: »Gladys, ich möchte einen Toast ausbringen. Auf dich, meine Liebe, die weltbeste Gastgeberin und treue Freundin.«
    Dr. Wycomb hob ebenfalls ihr Glas. »Und ich gebe das zurück und sage: auf euch beide – auf die Lindgren-Frauen, Emilie und Alice.«
    Beide sahen mich erwartungsvoll an. »Auf den Baseball«, sagte ich. »Auf 1963.«
    »Hört, hört.« Dr. Wycomb nickte zustimmend.
    »Auf eine wundervolle gemeinsame Zeit in Chicago«, sagte meine Großmutter.
    Darauf stießen wir an.
     
    Wie sich herausstellte, hatte sich Dr. Wycomb ein paar Tage freigenommen, um uns eine perfekte Gastgeberin zu sein. Ganz oben auf dem Programm stand für meine Großmutter der Erwerb ihrer Zobelstola, die, wie ich inzwischen verstanden hatte, ohne Diskussion von Dr. Wycomb bezahlt wurde. Während der nächsten Tage besichtigten wir gemeinsam die Stadt, besuchten das Art Institute, das Shedd Aquarium (ich war entsetzt und fasziniert zugleich vom Anblick eines drei Meter langen Alligators) sowie eine Nachmittagsvorstellung von
Die schlecht behütete Tochter
des Joffrey Balletts, während der Dr. Wycomb einschlief. Im Prudential Building drehte sich mir auf der Fahrt mit dem Fahrstuhl in den vierzigsten Stock der Magen um – bei der Eröffnung des Gebäudes im Jahre 1955 waren dies die schnellsten Fahrstühle der Welt gewesen –,und auf der Aussichtsplattform im einundvierzigsten Stock musste ich an meinen Vater denken und daran, wie sehr ihm die Aussicht wohl gefallen hätte. Obwohl ich Handschuhe, Schal und Mütze trug, war der Wind unerträglich kalt, und nach weniger als einer Minute verließ ich die Plattform wieder, auf die sich meine Großmutter und Dr. Wycomb erst gar nicht hinausgewagt hatten. Abends servierte uns Myra dann wahre Festessen: geschmorte Kalbskoteletts mit Backpflaumen oder Lamm mit Kohlrüben.
    Am Sonntag fuhr Dr. Wycomb ins Krankenhaus, um nach ihren Patientinnen zu sehen, und kaum hatte sie die Wohnung verlassen, stiegen meine Großmutter und ich in ein Taxi zum Pelham-Hotel. Wir nahmen die Treppe in den dritten Stock – das Gebäude hatte fünf Etagen, aber keinen Fahrstuhl – und betraten unser Zimmer, in dem wir außer einem Doppelbett kaum etwas vorfanden. Vom Treppensteigen noch ganz außer Atem, schlug meine Großmutter die Tagesdecke zurück, zerwühlte die Laken, füllte am

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