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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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Blicke trafen, sagte sie: »Kannst du dir das vorstellen?« Tatsächlich hatte ich gerade genau darüber nachgedacht, doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, und lächelte, wie ich hoffte, unverfänglich. »Und dann starb dein armer Großvater«, fuhr sie fort. »In welchem Jahr war das, Emilie? ’24?«
    »1925.«
    »Deine Großmutter wollte daraufhin ausziehen, doch ich sagte: ›Lass uns mal überlegen. Ich brenne darauf, von den Lichorobiecs wegzukommen, und du möchtest ebenso gern hier wohnen bleiben …‹ So wurde ich die Untermieterin deiner Großmutter, und wir hatten eine großartige Zeit miteinander.«
    »Dann kam die Wirtschaftskrise, und du kannst dir vorstellen, wie froh ich war, Gladys an meiner Seite zu haben«, sagte meine Großmutter. »Als Witwe wäre ich mit meinem Gehalt von Clausnitzer’s mit Sicherheit nicht über die Runden gekommen. Apropos über die eigenen Verhältnisse leben« – sie zog die
Vogue
-Werbung aus ihrer Handtasche und faltete sie auseinander –, »hast du je einen so umwerfenden Zobel gesehen?«
    Dr. Wycomb lachte. »Alice, deine Großmutter ist der einzige Mensch in diesem Land, der nach der Wirtschaftskrise
weniger
sparsam wurde.«
    »Wenn alles jeden Moment verloren sein kann, warum dann nicht etwas Spaß haben? Und sag mir nicht, der hier ist nicht atemberaubend. Dieser Glanz ist absolut … Mmh.« Schwelgerisch wiegte sie den Kopf.
    »Bist du auch so modeversessen, Alice?« In Dr. Wycombs Stimme schwang Zuneigung zu meiner Großmutter mit.
    »Oh, sie ist weitaus weniger oberflächlich, als ich es bin«, sagte meine Großmutter. »Durch die Bank nur Einsen, jedes Semester – du kannst dir vorstellen, wie enttäuscht ich bin.« In Wirklichkeit war sie es, die mir riet, aufs College zu gehen, da es mich weiterbringen würde. Meine Eltern hingegen schienen nicht so sehr hinter dieser Idee zu stehen.
    »Stimmt das?«, fragte Dr. Wycomb. »Nur Einsen?«
    »Ich hatte eine Eins minus in Hauswirtschaft«, gab ich zu. Schuld daran war Dena. Sie, Nancy Jenzer und ich waren beim Abschlussprojekt Partner gewesen und hatten in der Klasse hawaiische Fleischklößchen zubereitet, als Dena die Schüssel mit der orientalischen Soße fallen ließ.
    »Interessierst du dich für Naturwissenschaften?«, fragte mich Dr. Wycomb, doch bevor ich antworten konnte, fuhren wir rechts ran und hielten vor einer weinroten Markise, auf der in weißen Buchstaben The Pelham stand.
    »Gladys, bleib du hier, es dauert nur einen Augenblick«, sagte meine Großmutter. »Alice, du kommst mit mir.«
    Obwohl wir unser Gepäck im Wagen ließen, begriff ich erst im Hotel, was wirklich vor sich ging: Wir stornierten unsere Reservierung nicht, wie meine Großmutter es vor Dr. Wycomb behauptet hatte. Wir meldeten uns an, gingen dann wieder hinaus und fuhren mit Dr. Wycombs Wagen davon. Meine Großmutter gab mir keine Erklärung, doch als die Frau an der Rezeption sagte: »Ein Zimmer mit Blick auf den See kostet nur sechs Dollar mehr pro Tag«, antwortete meine Großmutter: »Das Zimmer, das wir haben, ist ausgezeichnet.« Des Weiteren lehnte sie einen Gepäckträger ab. Ich war nicht der Typ, der andere offen zur Rede stellte, außerdem betrachtete ich mich als ihre Verbündete. Daher sagte ich nichts, als wir denselben Weg durch die schummrige Lobby zurückgingen, ins Auto stiegen und meine Großmutter Dr. Wycomb erklärte: »Alles erledigt, es gab keinerlei Probleme.« Ich verstand nicht, warum wir zwei Parteien belogen – meinen Vater, wo wir übernachteten, und Dr. Wycomb wegen der angeblichen Stornierung –, aber ich wusste, dass es eine Frage der Höflichkeit war, sich dem Menschen, in dessen Begleitung man unterwegs war, zu fügen. Meine Großmutter erwartete von mir, ihr gegenüber loyal zu sein, und aus diesem Grund war ich es.
     
    Als Dr. Wycomb am Bahnhof vorgeschlagen hatte, etwas trinken zu gehen, war ich davon ausgegangen, sie meinte in einem Restaurant, doch stattdessen fuhren wir in ihre Wohnung amLake Shore Drive. Beim Betreten des Fahrstuhls nickte uns ein Liftboy, der eine ähnliche Uniform wie der Fahrer trug, kurz zu, murmelte »Dr. Wycomb« und drückte die Taste für den siebten Stock. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, fuhren wir nach oben, und als der Fahrstuhl hielt, traten wir in einen Flur, dessen Wände statt mit Tapete mit goldenem Seidenstoff ausgekleidet waren – kein glitzerndes Gold, sondern ein zart glänzendes Brokat, das in geschmackvollen Abständen mit Lilien

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