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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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alten Damen; als Myra ihn fragte, was er trinken wolle, sagte er: »Ich nehme ein Miller, wenn Sie eins haben« und fügte mit dem übertrieben enthusiastischen Tonfall eines Werbesprechers hinzu: »Der Champagner unter den Flaschenbieren!«Ich konnte spüren, wie es meine Großmutter in diesem Moment vermied, mich anzusehen, da sie damit zugegeben hätte, was mir auf Anhieb klar gewesen war – Marvin war nicht gerade anziehend.
    Als wir losgehen wollten, sagte Dr. Wycomb: »Hier ist ein Schlüssel, für alle Fälle, und ich habe dir meine Adresse und Telefonnummer aufgeschrieben, sollte irgendetwas Unvorhergesehenes passieren.« Sie gab mir einen kleinen Zettel.
    »Gladys, sie sind gerade mal drei Blocks entfernt«, sagte meine Großmutter. »Und Marvin ist nicht vorbestraft, zumindest hat er nichts Derartiges erwähnt.«
    »Ich bin sauberer, als die Polizei erlaubt, nicht wahr, Dr. Wycomb?«, sagte Marvin, und alle glucksten. Doch ich hatte ein flaues Gefühl im Magen; es hatte begonnen, als ich mir im Bad die Haare kämmte, und war auch nach der Begegnung mit Marvin nicht besser geworden, selbst nachdem ich erkannt hatte, dass es keinen Grund gab, unsicher zu sein. Während sie mir in den Mantel half, flüsterte meine Großmutter: »Gut, er ist ein Schwachkopf, aber denk dran: Übung.«
    Im Fahrstuhl nach unten musste ich ihn einfach fragen: »Wie groß bist du?«, und Marvin erwiderte: »Eins achtundneunzig«, auf eine Art, die darauf schließen ließ, dass ihm diese Frage zum einen oft gestellt wurde und er zum anderen nie müde wurde, sie zu beantworten.
    Das Restaurant hieß Buddy’s, weshalb ich angenommen hatte, dass es nichts Schickes sein würde, wir möglicherweise sogar zu elegant angezogen sein könnten. Doch es
war
schick, und wir gehörten zu den jüngsten Gästen. Jemand nahm uns am Eingang die Mäntel ab, dann wurden wir vom Oberkellner in den schummrigen Saal geführt, der mit schweren Vorhängen sowie großen Ohrensesseln und Tischen ausgestattet war.
    Nachdem wir uns gesetzt hatten, sagte Marvin: »Um ehrlich zu sein, als mein Vater mir verkündet hat, dass ich das hier tun müsse, bin ich davon ausgegangen, du seist eine Schreckschraube. Aber du bist echt verdammt süß.«
    Unsicher sagte ich: »Danke.«
    »Sei nicht beleidigt … Ich würde das nicht sagen, wenn du eine Schreckschraube
wärst

    »Oh«, sagte ich. »Okay.«
    »Du bist noch in der Highschool, richtig?« Als ich nickte, fuhr er fort: »Dann rate ich dir, halt dich fern vom Bryn Mawr College. Von allen Seven Sisters sind die Mädchen dort die größten Spinner.«
    »Wer sind die Seven Sisters?«
    Er sah mich an, als versuchte er herauszufinden, ob ich einen Witz machte oder es ernst meinte. Dann sagte er durchaus freundlich: »Du kommst tatsächlich aus der Provinz. Sie sind das weibliche Gegenstück zu den Ivy-League-Colleges. Radcliffe gehört zu Harvard, Barnard zu Columbia und so weiter. Die Schwesterschule von uns in New Haven ist Vassar College, obwohl es geschlagene eineinhalb Stunden weit weg liegt.«
    »Ich will aufs Ersine Teachers College in Milwaukee«, sagte ich. »Ein reines Mädchen-College, also vielleicht auch eine Schwesterschule – ich weiß es nicht.«
    »Es ist keine
Seven
-Sisters-Schule.«
    »Ja, vermutlich nicht. Aber ich weiß es nicht.«
    »Nein«, sagte er. »Ganz bestimmt nicht.«
    Das flaue Gefühl von zuvor – es war noch immer nicht weg und wurde nun von einer Hitze begleitet, die sich in meinem ganzen Körper ausbreitete und in Wangen und Nacken zusammenlief.
    »Wenn ich für uns beide bestelle, bringen sie dir bestimmt einen Drink«, sagte er.
    »Wasser reicht völlig.« Ich befühlte mein Gesicht mit den Fingerspitzen, und wie ich es erwartet hatte, glühte ich. »Entschuldige mich für einen Moment.« Die Toilette war ebenfalls schick: Neben dem Waschbecken saß eine Angestellte, ein schwarzes Mädchen, das nicht viel älter aussah als ich; die Kabinentüren waren aus Holz und reichten bis zur Decke, und in der Kabine hing ein goldener Toilettenpapierhalter. Wie meine Mutter es mir beigebracht hatte, legte ich die Klobrille mit Papierstreifen aus, bevor ich mich setzte. Als ich fertig war,lehnte ich mich, die Ellbogen auf die Knie gestützt, nach vorn, mein Gesicht vergrub ich in den Händen. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich würde übergeben müssen, aber es schien mir gut möglich. War ich, was die Gesellschaft des anderen Geschlechts anging, wirklich so ein Angsthase? Zwar glaubte

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