Die Frau des Praesidenten - Roman
Familie wird Verständnis dafür haben.«
Um sechs Uhr am selben Abend, ganz am Ende der Besuchszeit, wurden meine Mutter und ich endlich mit dem Summer durch die zweiflügelige Tür eingelassen, um meine Großmutter zu besuchen. Auf der Intensivstation waren nicht mehr als zwei Besucher gleichzeitig zugelassen, daher blieb Lars im Warteraum.
Sie war noch immer nicht bei Bewusstsein. Sie trug ein weißes Krankenhaushemd mit seegrünen und marineblauen Schneeflocken darauf, lag unter einer Decke und war an mehrere Monitore angeschlossen, von denen einer regelmäßige Piepstöne von sich gab. In ihrer Armbeuge war ein Schlauch befestigt, und ein zweiter kam aus ihrer Nase. »Sie ist so winzig«, murmelte meine Mutter. Ich hatte genau dasselbe gedacht. In dem großen Krankenhausbett sah sie herzzerreißend alt und herzzerreißend klein aus.
Ich ging auf sie zu und sagte in fröhlichem Tonfall: »Hallo, Granny, wir sind’s, Alice und Mom …«
»Ich bin es, Dorothy«, unterbrach mich meine Mutter. »Granny, wir sind so froh, dich zu sehen. Du hast uns heute einen ganz schönen Schrecken eingejagt.«
»Du willst dich bestimmt ausruhen, also bleiben wir nicht lange«, sagte ich. »Aber der Arzt hat gesagt, du seist jetzt stabil, und das ist doch eine großartige Neuigkeit.« Es war nicht zu erkennen, ob sie uns hören konnte; sehr viel wahrscheinlicher war, dass sie das nicht tat. »Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst, aber du bist heute Morgen gestürzt, deshalb bist du hier. Du wirst jetzt wieder gesund« – das war meine eigene Wunschdiagnose, nicht die Meinung des Arztes; das ermutigendste Wort, das er benutzt hatte, war
stabil
–, »und die Ärzte und Schwestern kümmern sich rührend um dich.« Auch das war eine optimistische Annahme; ich wusste nicht, wie viel durch die geschlossenen Türen zu ihr durchgedrungen war. Dr. Furnish, der betreuende Arzt, hatte Lars, meiner Mutter und mir einige Minuten zuvor erklärt, dass meine Großmutter eine intrakranielle Einblutung gehabt hatte und dass sie ihr Bluttransfusionen gegeben hatten, aber angesichts ihres hohen Alters und ihrer gebrechlichen Konstitution zögerten, sie zuoperieren. Dann hatte er darauf hingewiesen, dass sie möglicherweise Hirnschäden davontragen würde. Dr. Furnish wirkte nicht besonders warmherzig, aber kompetent. Während er sprach, machte ich mir Notizen auf der Rückseite eines Kassenzettels aus meiner Geldbörse.
»Granny, ich glaube kaum, dass dir der Warteraum da draußen zusagen würde«, sagte meine Mutter. »Die Sitze sind mit einem orangefarbenen Stoff bespannt, den du bestimmt furchtbar geschmacklos fändest.«
»Und Lars hat Kekse mitgebracht, die ganz altbacken aussahen. Mom und ich waren so klug, sie nicht anzurühren, aber alle anderen haben sich draufgestürzt.« Ich bemühte mich, unbeschwert und gut gelaunt zu klingen.
»Emilie, du musst rechtzeitig vor der Abschlussfolge von
Mord ist ihr Hobby
wieder gesund sein«, sagte meine Mutter.
Ich fügte hinzu: »Aber wenn du mir das Abendessen morgen bei Harold und Priscilla ersparen könntest, wäre ich dir wirklich etwas schuldig.«
»Alice!«
»Ich mache nur Spaß«, sagte ich. »Granny weiß das.«
So ging es weiter – wir sprachen die uns zugeteilten dreißig Minuten über halb mit meiner Großmutter und halb miteinander, und die einzige Antwort war das Piepsen des Monitors. Auf dem Weg zurück in den Warteraum zog meine Mutter ein Taschentuch hervor und betupfte ihre Augen. »Ich weiß, dass Granny ein langes Leben gehabt hat, und es ist nicht an mir, Gottes Plan in Frage zu stellen«, sagte sie. »Aber, Alice, ich bin noch nicht bereit dafür.«
Und dann wachte meine Großmutter wie durch ein Wunder auf. Als ich am nächsten Morgen gegen sieben im Krankenhaus anrief, sagte man mir, sie sei über Nacht wieder zu Bewusstsein gekommen. Sie döse gerade wieder, sagte eine der Schwestern, und sei zwar von den Medikamenten etwas benebelt, würde aber sehr wahrscheinlich mit uns sprechen können, wenn wir sie um neun besuchten.
Meine Mutter blieb in dem Geschenkeladen neben der Eingangshallezurück, um einen Luftballon zu kaufen – Blumen waren auf der Intensivstation nicht erlaubt –, also betrat ich das Zimmer meiner Großmutter allein. Ihre Augen waren geschlossen, aber als ich »Klopf, klopf« sagte, öffnete sie sie sofort. »Granny, willkommen zurück!«, sagte ich. »Wir haben dich vermisst!« Ich beugte mich über sie und küsste sie auf die
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