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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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überbewerte.«
    Sie hatte die Augen schon geschlossen und schüttelte nur den Kopf. »Kapitel achtzehn«, begann ich und räusperte mich. »Wronski folgte dem Zugführer in den Wagen und blieb an der Tür zum Abteil stehen, um einer heraustretenden Dame Platz zu machen …« Als meine Mutter ein paar Minuten danach mit dem Luftballon das Zimmer betrat, war meine Großmutter wieder eingeschlafen.
     
    Auf dem Rückweg nach Milwaukee hielt ich an einer Tankstelle. Ich hatte schon bezahlt und hängte gerade den Zapfhahn wieder an die Säule, als eine männliche Stimme sagte: »Alice, was für ein Zufall!«
    Ich blickte auf, und da stand nur wenige Meter entfernt, aufder anderen Seite der Betoninsel, Joe Thayer neben seinem Auto und hob die Hand zum Gruß. Er trug ein gelbes Polohemd, das er in seine karierten Shorts gesteckt hatte, und war so gutaussehend wie immer, aber man sah ihm auch an, dass er in letzter Zeit mehr abgenommen hatte, als ihm guttat: Seine Wangenknochen traten stärker hervor als sonst, und obwohl er fast zwei Meter groß war, wirkten seine Schultern merkwürdig schmal. Nicht dass ich selbst besonders beeindruckend ausgesehen hätte, wie meine Großmutter richtig bemerkt hatte. Ich war noch fünfzehn Autominuten von Maronee entfernt und hatte nicht damit gerechnet, jemandem zu begegnen, den ich kannte.
    »Joe, wie geht’s dir?« Ich warf einen Blick in sein Auto und dachte einen Moment lang, ich hätte auf der Rückbank seinen Sohn entdeckt: »Und ist Ben … du meine Güte, das ist ja Pancake!« Pancake war eine schwarze Labradorhündin, die in Halcyon für ihre Fähigkeit berühmt war, mit dem zweiundsiebzigjährigen Walt Thayer einen Engtanz aufzuführen. Mir kam diese Übung nie ganz freiwillig vor, daher fiel es mir schwer, so viel Enthusiasmus dafür aufzubringen wie alle anderen. »Bestimmt bereitest du dich schon auf Princeton vor«, sagte ich. »Erzähl schon, was für eine alberne Uniform werden sie dir verpassen?« Joe hatte seinen Abschluss in Princeton 1963 gemacht, fünf Jahre vor Charlie, so dass sie ihre bedeutenderen Jahrgangstreffen immer gleichzeitig begingen.
    Joe schüttelte den Kopf. »Diesmal werde ich aussetzen. Ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt dafür, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Man wird dich bestimmt vermissen.«
    »Eins kann ich dir sagen, Alice, ich hätte nie gedacht, jemals zu den Menschen zu gehören, die sich scheiden lassen.«
    »Oh …« Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Etwas lahm sagte ich: »Nun ja, so was kommt eben vor.«
    »Darf ich offen sein?«, fragte er.
    »Natürlich.«
    »Ich möchte doch gern wissen, was von unseren Problemen nach außen gedrungen ist. Es wäre mir nicht recht, wenn dieLeute denken … Es scheint ja in solchen Situationen meistens der Mann zu sein, der die Frau verlässt, aber so war es bei uns nicht. Ich will nicht behaupten, Carolyn und ich hätten nicht unsere Probleme gehabt, aber das hat mich wirklich wie aus heiterem Himmel getroffen.«
    Ich tat, als hätte ich seine Frage nicht verstanden. »Joe, es tut mir so leid. Das muss sehr schwer für dich sein.«
    Wir sahen einander an, und einen Moment lang dachte ich, er könnte losheulen. Es waren keine Tränen in seinen Augen, aber ich hatte den Eindruck, dass er das Kinn besonders gerade hielt und vielleicht die Zähne zusammenbiss. Er und ich hatten bisher nie auch nur annähernd so persönlich miteinander gesprochen. Begegnet waren wir einander in Milwaukee und Halcyon vielleicht hundertmal – nach unserer Hochzeit hatten Harold und Priscilla im Country Club für alle, die zur Trauung nicht eingeladen worden waren, eine riesige Cocktailparty ausgerichtet, und ich war ziemlich sicher, dass Joe dort gewesen war –, aber in den elf Jahren hatten wir nie über etwas Verfänglicheres gesprochen als den neuen Kreisverkehr in der Solveson Avenue oder die Wassertemperatur des Lake Michigan.
    Ich sagte: »Joe, ich hoffe, dass du weißt, dass es in jeder Familie Probleme gibt, selbst in Maronee. Ihr seid nicht die Einzigen. Und ich glaube, dass jedem klar ist, dass wir selbst in Bezug auf unser eigenes Leben nie alles unter Kontrolle haben.« Vermutlich lag es weniger an dem, was ich sagte, als daran, dass ich überhaupt weitersprach, aber Joe fing sich wieder.
    »Danke, das weiß ich zu schätzen.« Sein Zapfhahn klickte, und er zog ihn aus dem Tank. Mit einem Blick auf sein Auto sagte er: »Ich bin auf dem Weg nach Madison, um den Tag mit Martha zu

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