Die Frau des Praesidenten - Roman
klein die Welt ist!« Ich legte Ella eine Hand auf die Schulter. »Das ist meine Tochter Ella.«
»Kyle, mein Sohn.«
»Ist das nicht ein perfekter Tag für ein Baseballspiel?«, sagte ich.
»Wir leben jetzt in Oshkosh, aber wir besuchen gerade Freunde.« Sein Tonfall klang wärmer, als ich es erwartet hätte.
»Ist Oshkosh nicht dein Geburtsort?«, sagte ich, und er antwortete: »Du hast aber ein gutes Gedächtnis!«
Ein gutes Gedächtnis?
, dachte ich.
Wir waren ein Jahr lang ein Paar!
»Es wird dich vielleicht überraschen, aber ich bin auch im pädagogischen Bereich gelandet«, sagte er. »Ich bin Geschichtslehrer an der Highschool.«
»Das ist ja großartig«, sagte ich. Er schien auf eine ähnliche Information von mir zu warten –
ich mühe mich immer noch in der Schulbücherei ab
–, und mir wurde bewusst, dass ich Simon nicht erzählen wollte, dass ich meinen Beruf aufgegeben hatte. Ich hatte mich schon gefragt, ob er wusste, mit wem ich verheiratet war, oder zumindest, dass es einer der Söhne des ehemaligen Gouverneurs war, und war froh darüber, dass er nichts dergleichen zu ahnen schien. Wie wenig ihm mein neuer Lebensstil zugesagt hätte, wie hoffnungslos bourgeois er ihm vorgekommen wäre. »Dann wollen wir euch beide nicht weiter vom Spiel abhalten«, sagte ich. »Hat mich gefreut, dich zu sehen.«
»Vielleicht könnten sich unsere Familien kennenlernen, wenn wir nächstes Mal in der Gegend sind«, sagte er, und ich lächelte, weil ich wusste, dass er mich ohnehin nicht ausfindig machen würde.
»Unbedingt.«
Als wir wieder zu unseren Plätzen zurückkamen, war Zeke Langenbacher nicht mehr da, und ich sagte zu Charlie: »Du glaubst gar nicht, wem Ella und ich eben über den Weg gelaufen sind – Simon Törnkvist.«
»Du meinst Simon Garfunkel?« Diesen Spitznamen hatte Charlie ihm vor Jahren aufgrund meiner kurzen Beschreibung verpasst. Die beiden waren einander nie begegnet, aber Charliehatte irgendwie den Eindruck gewonnen, Simon sei ein langhaariger, Gitarre spielender Friedensaktivist; eigentlich sagte das weniger über seine Vorstellung von Simon aus als über seine Vorstellung von mir. »Er hatte seinen Sohn dabei«, sagte ich, und Ella fiel ein: »Seinetwegen habe ich meine Pommes ausgekippt!«
»Aber nicht alle, wie es aussieht«, sagte Charlie und langte in den Becher in Ellas Hand. Entrüstet gab sie ihm einen Klaps auf den Arm.
»Ich dachte, der gute Garfunkel wollte keine Kinder«, sagte Charlie. »Habt ihr euch nicht deswegen getrennt?«
Jetzt war es an mir, über jemandes gutes Gedächtnis zu staunen. »Menschen ändern sich eben.« Mir war durchaus bewusst, dass ich Kyles bloße Existenz als Beleidigung auffassen musste, und wer konnte schon wissen, ob Simon nicht noch mehr Kinder hatte? Aber was ich tatsächlich empfand, war eine beinahe schwindelerregende Freude darüber, dass ich mit Charlie verheiratet war und nicht mit Simon. Wie steif und lieblos Simon damals gewesen war, wie langweilig, und ich hatte es erst im Nachhinein bemerkt. Charlie mochte noch so viele Schwächen haben, er war doch unvergleichlich viel attraktiver. Ich streckte eine Hand über Ella hinweg, um ihm den Nacken zu kraulen. »Was hat Zeke Langenbacher denn erzählt?«
Charlie zuckte mit den Schultern. »Nichts Besonderes.«
Die Brewers gewannen 7: 1, und wir fuhren zufrieden, sonnensatt und müde heim. Sobald wir in die Einfahrt einbogen, sagte ich zu Ella: »Liebes, ich möchte, dass du bis zum Abendessen dein Spielzeug aufräumst.«
»Falls du dich fragst, wo Barbie ist – die liegt splitternackt und durchgewalkt auf dem Fußboden im Fernsehzimmer«, sagte Charlie. »Sie hat alle viere von sich gestreckt. Scheint eine wilde Nacht hinter sich zu haben.«
»Charlie.« Ich runzelte die Brauen.
»Was heißt denn ›durchgewalkt‹?«, fragte Ella.
»Ich sage doch nur die Wahrheit«, verteidigte sich Charlie.
»Das heißt ›müde‹«, sagte ich zu Ella. »Wie wäre es, wenn du ihr etwas anziehen würdest, damit sie nicht friert?«
Das Telefon klingelte, als wir das Haus betraten, und ich wollte erst den Anrufbeantworter angehen lassen, entschied mich dann aber doch dafür, den Hörer abzunehmen, falls es Jadey war, die mit mir spazieren gehen wollte.
»Hallo?«, sagte ich. Es kam nicht gleich eine Antwort, und dann hörte ich ein leises Schluchzen, das ich sofort erkannte, und meine Mutter sagte: »O Alice, es fällt mir so schwer, dir das zu sagen, aber Granny ist von uns
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