Die Frau des Praesidenten - Roman
gegangen.«
Ich hatte Ella noch nie schwarze Kleidung gekauft. Genau genommen hatte ich ihr sogar eingeschärft, dass Schwarz für Mädchen in ihrem Alter nicht passend sei, woran sie mich jetzt vorwurfsvoll erinnerte, während ich in einer Umkleidekabine im Miss n’ Master, der überteuerten Kinderboutique von Maronee, auf dem Bänkchen saß und sie sich in ein schimmerndes schwarzes Kleid mit Puffärmeln und einer Schärpe hineinzwängte. Sie begutachtete sich im Spiegel und war mit dem Ergebnis überraschend zufrieden: »Ich sehe aus wie das Mädchen aus der
Addams Family
. Machst du mir für Grannys Beerdigung Zöpfe?«
»Probier mal das hier an.« Ich nahm ein dunkelblaues Kleid mit weißem Peter-Pan-Kragen von einem Bügel. Ella zog es über und betrachtete missbilligend ihr Spiegelbild. »Das sieht hinreißend aus«, sagte ich. »Warum gefällt es dir nicht?«
»Mir gefällt das andere.«
Es war vier Uhr am Donnerstagnachmittag, seit dem Anruf von meiner Mutter waren vier Tage vergangen, und die Beerdigung sollte am nächsten Morgen um elf Uhr stattfinden. Ich seufzte. »Gut, nehmen wir das schwarze.«
»Kann ich es auch an Weihnachten anziehen?«
»Weihnachten ist erst in sieben Monaten, Liebling.«
»Und in Princeton?«
»Lass uns später darüber reden. Dreh dich bitte um, damit ich den Reißverschluss aufmachen kann.«
An der Kasse erklärte Ella der Dame, die das Kleid einpackte: »Es ist für die Beerdigung meiner Urgroßmutter. Sie ist gestorben, weil sie Blut im Kopf hatte.«
Die Frau war sichtlich schockiert. »Es tut mir leid, das zu hören«, sagte sie.
Es war eigenartig, ohne meine Großmutter in Riley zu sein. Auch früher war es vorgekommen, dass ich zu Besuch kam, wenn sie bei Gladys Wycomb in Chicago war, oder dass sie bei meiner Ankunft gerade schlief, aber dann war sie mir trotz ihrer Abwesenheit präsent gewesen, und jetzt war sie einfach nicht mehr da. Andererseits – was wusste ich schon von den Mysterien des Jenseits? Vielleicht saß sie direkt neben mir und sah mir dabei zu, wie ich mich umdrehte und die Leute begrüßte, die hinter der ersten Bankreihe in der Calvary Lutheran Church saßen. Die Trauer schnürte mir die Brust ein wie ein zu enger Gurt, aber zugleich spürte ich den Drang, höfliche Konversation zu betreiben, der mich auf Beerdigungen immer wieder überraschte: Die konzentrierten Augenblicke der Trauer waren meist die Ausnahme, die Augenblicke, in denen man wirklich an die Verstorbenen dachte, statt sich nur vage seiner selbst bewusst zu sein, in der Kirche, als Teil einer Gruppe, im gemeinsamen Gebet oder im Gespräch mit anderen. Ungefähr sechzig Menschen waren zu dem Trauergottesdienst gekommen, hauptsächlich unsere Nachbarn, aber auch Ernie LeClef, der inzwischen die Zweigstelle der Wisconsin State Bank & Trust leitete. Das waren weit mehr, als ich erwartet hatte, da meine Großmutter nur wenige enge Freunde gehabt hatte. Viele ihrer Altersgenossen hatte sie überlebt, aber auch nicht wenige aus der nächsten Generation, nicht zuletzt natürlich meinen Vater.
Der Pastor, ein Mann namens Gordon Kluting, den ich kaum kannte, eröffnete den Gottesdienst mit den Worten: »Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes.« Nach diesem Kanzelgruß sangen wir »Jesu, geh voran«, dann folgten die Litanei und der Psalm 23. Meine Mutter las aus der Offenbarung (sie war kaum zu verstehen), und dann war ich an der Reihe und las aus den Seligpreisungen im Matthäusevangelium:
Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die
Trauernden; denn sie werden getröstet werden …
Ich war froh, dass man mir diesen Text zugewiesen hatte und nicht den meiner Mutter, weil er eher Mitgefühl als Glauben ausdrückte. Auch nach so vielen Jahren hatte sich mein Glaube nicht wieder gefestigt. Es war mir dennoch wichtig, Ella im Schoß der Kirche aufwachsen zu lassen, wenn auch nur, damit sie in Zukunft, sollte sie Trost im Glauben suchen wollen, eine Grundlage dafür hätte. Daher lag eine gewisse Ironie darin, dass an den meisten Wochenenden ich diejenige war, die dafür sorgte, dass wir Christ the Redeemer aufsuchten. Zu Beginn unserer Zeit in Milwaukee war Charlie ein eifriger Kirchgänger gewesen, aber ich vermute, dass das mehr mit seinem Wunsch zu tun hatte, uns als frischverheiratetes Ehepaar in der Gemeinde zu etablieren, als mit seinem Glauben, der eher durchschnittlich
Weitere Kostenlose Bücher