Die Frau des Praesidenten - Roman
abgeperlt wie Regentropfen. Er sagte: »Und du willst also keine Nervensäge sein, hm?«
»Ich hätte gedacht, du würdest dir etwas mehr Mühe geben, dich Miss Ruby gegenüber respektvoll zu verhalten.«
Er hielt einige Sekunden lang die Klinge unter den Wasserhahn und fuhr dann mit der Rasur fort. »Wer hat ihr denn gesagt, dass ich dabei sein würde? Ich nicht, mein Herz. Wenn dir das so wichtig ist, dann mach einen neuen Termin, vielleicht können sie ja nächstes Wochenende kommen. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass ich morgen eine Baseballmannschaft kaufe.«
»Nächstes Wochenende sind wir in Princeton.« Ich trat einen Schritt zurück in unser Schlafzimmer. Ich würde in die Küche hinuntergehen und das Mittagessen vorbereiten, und ich würde die Suttons bei uns willkommen heißen, selbst wenn Charlie sich nicht dazu herabließ, dabei zu sein, und wenn seine Mutter dagegen war. Aber zuerst sagte ich so schnippisch, dass ich meine eigene Stimme kaum wiedererkannte: »Und lass bloß nicht deine Haare im Waschbecken liegen.«
Jessica Sutton schien einen ganzen Kopf größer geworden zu sein, seit ich sie zuletzt gesehen hatte, und ich erkannte, als ich die Tür öffnete, um sie und ihre Familie zu begrüßen, dass sie, wenn auch noch nicht erwachsen, so doch kein Kind mehr war. Viele Sechstklässler, vor allem Jungen, sind noch sehr kindlich, aber einigen sieht man eine deutliche Veränderung an, eine neue, noch ungefestigte Wahrnehmung ihrer selbst und der Welt um sie herum. In den besten Fällen drückt sich diese Veränderung auch in Höflichkeit aus, und wenn man ein solches Kind fragt, wie es ihm ginge, stellt es sofort die Gegenfrage.Genau das tat Jessica, und dann sagte sie: »Vielen Dank für die Einladung, Mrs. Blackwell.« Es versetzte mir einen Stich, wenn ich dabei an Ella dachte, die ganz eindeutig noch ein Kind war und, wie ich befürchtete, Schwierigkeiten haben würde, mit der reifen, selbstbewussten jungen Frau mitzuhalten, zu der Jessica geworden war. Mir wurde bewusst, dass das Bild, das ich meist im Kopf hatte, wenn ich an Jessica dachte, noch von einem gemeinsamen Ostereiersuchen bei Harold und Priscilla vor einigen Jahren herrührte (die Blackwells gaben sich also manchmal doch mit ihrer Angestellten ab, aber zu ihren eigenen Bedingungen, unter Umständen, die ihre Freigebigkeit und Wohltätigkeit erkennen ließen, ohne zu suggerieren, dass sie etwa Freude daran gehabt hätten). An jenem Osterfest hatte Jessica einen roten Rock mit violetten Sternen und ein dazu passendes violettes Oberteil mit roten Sternen getragen. Ihr Haar trug sie in viele kleine Strähnen geteilt, und jede dieser Strähnen war geflochten und am Ende von einer roten oder violetten Plastikhaarspange zusammengehalten worden. Während sie auf dem Grundstück umherlief und Eier in ihren Korb sammelte, klickten diese Spangen aufeinander. Jetzt war Jessica hoch aufgeschossen und ernst, sie war hübsch – über ihrem rosafarbenen Trägerhemd trug sie eine rosa-weiß gestreifte, offene Bluse und dazu eine weiße Stoffhose –, und mädchenhaft wirkte sie kaum noch.
Kaum dass sie, Miss Ruby, Yvonne, der kleine Antoine, Ella und ich es uns auf der Backsteinterrasse im Garten bequem gemacht hatten, fragte Ella: »Kann ich Jessica meine Colaflasche zeigen?«, und ich sagte: »Schatz, sie sind gerade erst angekommen.«
»Das macht doch nichts, ich würde sie mir gern ansehen«, sagte Jessica. Die Colaflasche, die Ella meinte, hatte sie im vergangenen Herbst beim Erntedankfest der Biddle Academy gewonnen. Es war eine Glasflasche, deren Hals erhitzt und in die Länge gezogen worden war und in die man statt des ursprünglichen Inhalts eine giftig blaue Flüssigkeit gefüllt hatte. Obwohl es schon ein halbes Jahr her war, dass Ella diesen Staubfänger bekommen hatte, war sie noch immer stolz darauf wieam ersten Tag – wenn sie jemandem imponieren wollte, betrachtete sie die Flasche offenbar als die stärkste Waffe in ihrem gesamten Arsenal.
»Kommt aber in zehn Minuten zum Essen runter«, rief ich den beiden noch hinterher, als sie ins Haus gingen, und sobald sie verschwunden waren, sagte ich: »Ich kann gar nicht fassen, wie groß Jessica geworden ist. Und Antoine …« – ich beugte mich über ihn, machte große Augen und öffnete den Mund – »… du bist wohl das süßeste Baby aller Zeiten.« Er steckte in einem blassblauen Schlafsack und hatte große braune Augen, lockiges braunes Haar und diese
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