Die Frau des Praesidenten - Roman
getroffen …« Sie schwieg einen Augenblick. »In meiner Familie gab es in meiner Kindheit genug böses Blut, und es war alles andere als angenehm, das mitzuerleben. Es macht ja alles nur noch schlimmer. Wenn man sich erst mal gegenseitig hochgeschaukelt hat, kommt es kaum noch drauf an, warum der Streit überhaupt begonnen hat, findest du nicht? Als ich heiratete, beschloss ich, anders damit umzugehen. Wann immer es zwischen deinem Vater und mir Unfrieden gab, wollte ich ihm mit Güte begegnen. Ich wollte ihm nie beweisen, dass er recht oder unrecht hatte. Ich wollte ihm zeigen, wie viel er mir bedeutete, in der Hoffnung, dass es ihn zugleich daran erinnerte, wie viel ich ihm bedeutete. Und ich hatte das Glück, dass dein Vater ein sehr sanftmütiger Mensch war.« Sie sah von ihrer Arbeit auf und lächelte mir betont nichtssagend zu. »Nicht jeder Mann ist so.«
Ich will dich nicht dazu ermutigen, dich von Charlie scheiden zu lassen, aber wenn du es tust, habe ich Verständnis dafür – war das nicht in etwa das, was sie mir sagen wollte?
Inzwischen hatte sie den Stoff wieder umgedreht und stickte ruhig weiter, und ich beugte mich darüber, um es mir genauer anzusehen. »Das wird ein wunderschönes Kissen«, sagte ich.
Nachdem ich mich bettfertig gemacht hatte, setzte ich mich mit
Aussicht auf Regen
in die Küche und wartete darauf, dass das Telefon klingelte. Es war halb elf, dann fünf nach elf, zwanzig nach elf, halb zwölf, und ich wurde allmählich ärgerlich bei dem Gedanken, wie unhöflich es von Charlie war, so spät anzurufen. Um zwanzig vor eins wusste ich, dass er sich gar nicht mehr melden würde. Das Haus meiner Mutter war sehr still, draußen auf der Amity Lane fuhren keine Autos, und meine Verärgerung verwandelte sich schlagartig in Einsamkeit und Enttäuschung.
Als am nächsten Morgen das Telefon klingelte, saßen wir noch beim Frühstück, und Ella nahm ab. Sie hörte ein paar Sekundenlang nur zu und sagte dann: »Mommy geht mit mir Schlittschuh laufen, und ich kann schon rückwärtsfahren.« Das musste Charlie sein, oder? »Im Einkaufszentrum«, sagte Ella, und dann noch mal, fast schreiend: »Im
Einkaufszentrum
! Ja, sie ist hier.« Ella hielt mir den Hörer hin. »Grandmaj ist dran.«
Ohne irgendeine Einleitung sagte Priscilla: »Jetzt hör mir mal gut zu, Alice, du wirst dich in dein Auto setzen und nach Milwaukee zurückfahren. Chas klingt einfach furchtbar.«
Ich wäre wohl ohnehin einsilbig gewesen, aber mit Ella, Lars und meiner Mutter direkt neben mir am Frühstückstisch wusste ich gar nicht, wie ich antworten sollte. Schließlich brachte ich heraus: »Wenn du vielleicht einen Augenblick warten könntest, Priscilla, dann nehme ich das andere Telefon.«
Oben im Schlafzimmer war der Apparat noch vom Vorabend ausgestöpselt, also kniete ich mich hin, um den Stecker wieder in die Dose zu stecken, und nahm dann ab. Ich saß auf der Kante des Doppelbetts und hörte, wie unten aufgelegt wurde. »Hallo?«, sagte ich.
»Das ist doch alles Nonsens«, sagte Priscilla. »Du wusstest, dass er sich gern volllaufen lässt, als du ihn geheiratet hast. Also reiß dich zusammen und bring das wieder in Ordnung.«
»Priscilla, ich halte es nicht für eine persönliche Marotte von Charlie, dass er trinkt. Von Washington aus ist es sicher nicht so offensichtlich, wie wenn man mit ihm im selben Haushalt wohnt, aber er ist …« Ich zögerte, aber dann sagte ich es doch. »Er betrinkt sich fast jeden Abend. Er ist Alkoholiker.«
Priscilla reagierte nicht besonders überrascht. »Und wer, denkst du, ist schuld daran?«
»Wenn du damit andeuten willst, ich sei dafür verantwortlich, dass Charlie trinkt, muss ich dir leider widersprechen. Er ist ein erwachsener …«
»Ich werde dich mal was fragen. Was ist deine Aufgabe?«
»Ich kann dir nicht ganz folgen.«
»Allerdings nicht. Du bist eine Hausfrau, meine Liebe. Es ist deine
Pflicht
, dafür zu sorgen, dass dein Haushalt reibungslos funktioniert. Wessen Einkommen ist es denn, das dir den Luxus ermöglicht, zu Hause zu bleiben, was meinst du?«
»Priscilla, ich sitze ja nicht den lieben langen Tag mit Süßigkeiten vor dem Fernseher. Aber wenn ich dich enttäuscht haben sollte, dann tut es mir leid.«
»Oh, es überrascht mich überhaupt nicht«, sagte Priscilla. »Im Gegenteil, ich habe seit mehr als zehn Jahren auf diesen Tag gewartet. Alle wussten schließlich, dass du unter deinem Stand geheiratet hast.«
Ich konnte mir die bittere
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