Die Frau des Praesidenten - Roman
ihrer Fähigkeit schaden, logische Zusammenhänge zu begreifen. Es war mir egal, ob Ella eines Tages nach Princeton ging, ob sie besondershübsch wurde, ob sie einen reichen Mann heiraten würde oder ob sie sich überhaupt entschließen würde zu heiraten. Es gab viele Lebensentwürfe für sie, mit denen ich mich hätte anfreunden können, egal, ob als Hippie, Hausfrau oder Karrieremensch. Etwas ganz anderes war mir dafür keineswegs egal: Ich wünschte mir inbrünstig, Ella beibringen zu können, dass sich harte Arbeit auszahlte, dass Ehrlichkeit mit Ehrlichkeit beantwortet wurde, dass Demut kein Regenmantel war, den man sich überzog, wenn die Umstände es gerade erforderten, sondern eine konstante Haltung: das Wissen, dass jedem Glück und Unglück gleichermaßen widerfuhr und niemand seinen Erfolg oder sein Scheitern ganz in der Hand hatte. Vor allem wollte ich ihr vermitteln, dass es viele Menschen gab, die sich dennoch von ihrer eigenen Verbitterung leiten ließen, und dass man ihnen besser aus dem Weg ging – ihre Launen und Verhaltensweisen glichen einem Hornissennest, und es gab keinen vernünftigen Grund, sie nicht so weit wie möglich zu meiden und zu ignorieren. Und ich liebte Ella, ich liebte sie unermesslich, aber ich fragte mich auch, ob sie nicht schon durch Charlies Schwächen und meine Nachsicht ihm gegenüber geprägt worden war. Wenn sie uns nacheiferte – und das tat sie ganz sicher, alle Kinder taten das –, würde sie sich dann an seiner selbstgerechten Launenhaftigkeit oder an meiner aufopferungsvollen Passivität orientieren? Ich wollte nicht, dass sie in dem Glauben heranwuchs, ich würde seine Entscheidungen billigen, und zugleich fand ich keinen anderen Weg, meiner Kritik Ausdruck zu verleihen, als den, Charlie zu verlassen.
Neben mir auf der Wohnzimmercouch sagte meine Mutter: »Denkst du, Charlie wird heute Abend wieder anrufen? Wenn ja, wäre es vielleicht besser, wenn ich das Telefon in unserem Zimmer ausschalte.«
»Es tut mir so leid, dir so viele Umstände zu machen«, sagte ich, aber sie war schon aufgestanden.
»Ich bin gleich wieder da.«
Während sie weg war, sah ich mich im Wohnzimmer um. Die breiten, kantigen Sitzmöbel, die meine Eltern in den fünfziger Jahren gekauft hatten, standen immer noch dort, genausowie die
Encyclopedia Britannica
mit ihren kastanienbraunen Buchrücken, der Fernsehsessel von Lars und das Gemälde über dem Kamin, eine Kopie von Picassos
Le Guitariste
, die meine Großmutter meinen Eltern einmal zu Weihnachten geschenkt hatte und von der ich ziemlich sicher war, dass beide sie nie gemocht hatten.
»Ich hoffe, du warst nach Charlies Anruf gestern Abend nicht lange auf«, sagte ich zu meiner Mutter, als sie wiederkam.
»Mach dir darüber keine Gedanken. Kommt er auch hierher? Wir würden uns sehr freuen, auch wenn es nur zum Abendessen wäre. Lars kann es kaum erwarten, seine Anregungen für die Baseballmannschaft loszuwerden.«
»Das glaube ich gern.« Wir lächelten einander zu. »Charlie hat in Milwaukee eine Menge zu tun und wird es vermutlich nicht schaffen, aber das ist sehr nett von euch.« Zögernd fuhr ich fort: »Du und Dad, ihr habt euch nie wirklich gestritten, oder? Ich hatte immer den Eindruck, dass ihr euch sehr gut vertragen habt.«
»Du meine Güte, jedes Ehepaar streitet sich hin und wieder.« Meine Mutter hatte sich inzwischen wieder hingesetzt und griff nach ihrem Stickrahmen, der seit dem Vorabend auf der Ablage unter dem Wohnzimmertisch gelegen hatte. Sie arbeitete gerade an einem Sofakissenbezug mit einer Rose darauf.
»Aber ihr beiden habt euch nie
ernsthaft
gestritten, oder? So, dass ihr darüber nachgedacht hättet, euch scheiden zu lassen?«
»Das war damals noch sehr unüblich.« Meine Mutter fädelte das Garn ein, ohne mich anzusehen, und sprach ganz beiläufig, aber ich bin sicher, dass sie genau wusste, worum es ging. »Heutzutage ist es nichts Ungewöhnliches mehr, sich scheiden zu lassen, aber zu unserer Zeit kannte ich niemanden, der das getan hatte. Die Connors waren die Ersten, die ich kannte, glaube ich … erinnerst du dich noch an Hazel und William? Man erzählte sich damals, er sei ein Spieler gewesen. Aber Hazel war so eine nette Person.« Meine Mutter drehte den Rahmen um, um sich einen ihrer Stiche genauer anzusehen. »Es kam schon vor, dass ich wütend auf deinen Vater war, aberich kann nicht sagen, dass ich je auf den Gedanken gekommen wäre, ihn zu verlassen. Ich hatte eine Entscheidung
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