Die Frau des Praesidenten - Roman
Ella zwei andere Mädchen beobachtete, Schwestern wahrscheinlich und ein paar Jahre älter als sie, die sehr talentiert waren und einander immer wieder etwas zuriefen, sich stritten oder miteinander lachten. »Willst du mit den beiden spielen?«, fragte ich sie. Als Ella energisch den Kopf schüttelte, plagten mich Schuldgefühle. Nachdem wir unsere Schlittschuhe ausgezogen und zurückgegeben hatten, aßen wir in einem Imbiss des Einkaufszentrums paniertes Hähnchen, und ich kaufte ihr in einem Laden mit billigem Schmuck und Accessoires ein Armband mit einem Delphinanhänger.
Während wir so durch die Gänge aus rosafarbenem Marmor liefen, konnte ich nicht umhin, mich zu fragen, was ich uns da eigentlich antat. Wie lange würden Ella und ich es in dieser Stadt aushalten? Weil es so einfach war, innerhalb eines Tages zwischen Milwaukee und Riley hin- und zurückzufahren, war das hier schon jetzt mein längster Besuch seit Jahren. Ich hatte es mir als Atempause vorgestellt, aber Ella hatte auch nicht unrecht mit dem, was sie bei Fassbinder’s gesagt hatte: Es war langweilig. Ich war hier aufgewachsen und war sehr dankbar dafür, aber jeder einzelne Tag, den wir hier verbrachten, erschien mir dreimal so lang wie ein Tag in Maronee. Und doch – wenn wir nach Hause fuhren, würde dann nicht alles genauso weitergehen wie bisher? Charlie würde sich vielleicht ein paar Wochen lang vorbildlich verhalten, höchstens ein paar Monate,aber selbst das war vielleicht nur Wunschdenken. Es war genauso gut möglich, dass er schmollte, statt in sich zu gehen.
Am Nachmittag rief ich Jadey an. Sie ging ans Telefon und sagte: »Sag jetzt bitte, dass du wieder zu Hause bist und mich gerade fragen willst, ob ich mit dir spazieren gehen möchte, die Antwort heißt nämlich
ja
. Ich habe schon zwei Kilo zugelegt, weil ich dich so vermisse – na ja, weil ich dich vermisse, mich nicht bewege und ein ganzes Blech Double Fudge Brownies gegessen habe.«
»Glauben alle in dieser Familie, dass Charlie irgendwie minderbemittelt ist?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Maj hat mich vorhin angerufen. Sie ist nicht gerade gut auf mich zu sprechen, wie du dir vielleicht vorstellen kannst, und sie hat andeutungsweise … Es war wirklich merkwürdig. Wollten Arthur und John Charlie jemals kündigen?«
Jadey antwortete nicht gleich, was auch eine Antwort war, und leider nicht die, auf die ich gehofft hatte. Schließlich sagte sie: »Er spielt manchmal mitten am Tag Tennis, das ist das Hauptproblem, glaube ich. Oft wissen sie gar nicht, wo er sich überhaupt rumtreibt, und wenn dann ein Großhändler zu einem Treffen kommt, das Chas selbst arrangiert hat, und …«
»Warum hast du mir nie was davon gesagt?«
»Wir sind ja nicht die Babysitter unserer Männer, oder? Sei nicht sauer. Bist du sauer? Alice, so war er schon immer. Niemand behauptet, dass er dumm ist. Er ist nur … Vielleicht ist er nicht der Allerfleißigste, um es mal so zu sagen. Aber weißt du, wer der allerfleißigste Mann aller Zeiten ist? Ed. Und wer würde sich schon wünschen, mit Ed verheiratet zu sein?«
Es war wie bei der optischen Täuschung mit der alten Hexe und der eleganten jungen Frau: Aus dem einen Blickwinkel führte ich ein privilegiertes, aufregendes Leben, sicherlich nicht ohne Probleme, die aber im Vergleich zu den Vorzügen unwesentlich waren – und aus dem anderen Blickwinkel betrachtet, war meine Ehe nur noch Fassade und mein Mann ein Hanswurst. Ich hatte früh gelernt, wie schmal der Grat zwischen Glück und Unglück, zwischen Seelenruhe und Chaoswar, aber es war viele Jahre her, dass ich mich auf dieser Grenze bewegt hatte. »Wenn du ihn heute Abend siehst, könntest du ihn dann bitten, mich anzurufen?«, fragte ich.
»Oh, Chas wohnt aber nicht mehr bei uns«, sagte Jadey. »Er war nur eine Nacht hier.«
»Wo übernachtet er denn jetzt?«
»Ich geh mal davon aus, dass er beschlossen hat, ein großer Junge zu sein, und nach Hause gegangen ist.«
Ich hatte dieses ungute, kribbelnde Gefühl, mit dem sich eine Gänsehaut ankündigt. Zu Hause war er nicht, dessen war ich mir sicher.
»Bist du noch da?«, fragte Jadey. »Sag doch was.«
Ich seufzte. »Ich bin noch da.«
An diesem Sonntag gingen Ella und ich mit meiner Mutter und Lars in die Kirche. Ella rutschte den ganzen Gottesdienst über auf ihrem Sitz hin und her und vermisste offensichtlich Bonnie, ihre Sonntagsschullehrerin in Milwaukee. Nach dem Mittagessen nahmen sich Lars und ich ein
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