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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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umarme Charlie, um den Duft seiner Schultern und seines Nackens einzuatmen. »Du riechst so sauber«, sage ich. Dann greife ich nach der schmalen ledernen Mappe auf seinem Nachttisch und öffne sie. Diese Mappen – auf meinem Nachttisch liegt ein identisches Exemplar – enthalten unser jeweiliges Tagesprogramm. Bevor wir abends schlafen gehen, bekommen wir sowohl unser eigenes als auch das des anderen ausgehändigt.
    Für ihn sind heute Besprechungen mit dem Nachrichtendienst und dem FBI angesetzt, eine Rede vor Vertretern mittelständischerBetriebe in Columbus, Ohio, am späten Vormittag, ein Fundraising-Mittagessen in Buffalo und ein nachmittägliches Treffen mit seinen Wirtschaftsberatern im Oval Office. Davor und danach sind mehrere Telefonate geplant, in denen er sich für Ingrid Sanchez einsetzen wird. Um acht Uhr abends findet im Weißen Haus eine Galaveranstaltung statt. Ihr Motto lautet »Schüler und Lehrer grüßen Alice Blackwell«, was ich als sehr peinlich empfinde. Als Hank mich im April dazu überredete, die Veranstaltung abzusegnen, erinnerte er mich daran, dass Charlies Sympathiewerte auf 32 Prozent abgesackt waren, während meine weiterhin bei 83 Prozent lagen – damit bin ich die zweitbeliebteste Frau in den Vereinigten Staaten, gleich nach Oprah Winfrey. (Das mag absurd klingen, ist aber bei weitem nicht der absurdeste Aspekt meines Lebens.) »Wenn wir die Amerikaner daran erinnern, wie sehr sie dich lieben, werden sie auch daran denken, wie sehr sie ihren Präsidenten lieben«, sagte Hank zu mir. »Du kannst uns damit einen großen Gefallen tun, und alles, was du dafür machen musst, ist, hinzugehen und so zu tun, als hättest du ein Ego wie alle anderen auch.«
    Charlie überfliegt seinen Zeitplan und zieht dann meinen darunter hervor. »Du bist heute nicht auf Reisen, oder?«
    Ich schüttle den Kopf. »Das Brustkrebs-Forum ist in Arlington.«
    »Ein Tittengipfel, ja?«, grinst Charlie. »Brauchst du vielleicht Hilfe bei der Selbstuntersuchung?«
    »Zieh dich an.« Ich schiebe ihn von mir weg und beginne das Bett zu machen, eine Angewohnheit, über die sich die Zimmermädchen prächtig amüsieren, die ich aber einfach nicht ablegen kann. Bevor wir vor über sechs Jahren hier einzogen, wurden die Bettbezüge im ganzen Haus täglich gewechselt, aber ich habe mich dafür eingesetzt, sie nur noch einmal pro Woche neu zu beziehen, auch Charlies und mein Bett, um Wasser zu sparen.
    Ein paar Minuten später steht er im weißen Oxford-Hemd, einem anthrazitfarbenen Anzug und einer roten Krawatte mit gelben Pünktchen wieder vor mir. »Du siehst gut aus«, sage ich.
    »Freust du dich schon darauf, heute Abend die Ballkönigin zu geben?«
    »Ich kann es kaum erwarten«, antworte ich trocken.
    »Dir graut doch nicht etwa davor, oder? Lindy, du hast diese Anerkennung wirklich verdient. Die Leute ahnen nicht mal, was du alles getan hast, nicht nur für die Regierung, sondern auch für ihr Land.«
    Diesen Tonfall schätze ich nicht besonders: wenn jemand so spricht, als ob er an das Bild glaubt, das die Medien von mir erzeugen – oder im Idealfall erzeugen sollten. In der Öffentlichkeit bemühe ich mich, sowohl Komplimente als auch Kritik freundlich entgegenzunehmen, aber wenn ich als Privatperson darüber nachdenke, vermeide ich es, mir die Verdienste anzurechnen, die mit meiner gesellschaftlichen Position verknüpft sind – meine Vorbildfunktion zum Beispiel oder meine Führungsqualitäten –, und gebe mir dementsprechend auch nicht die Schuld an den großen allgemeinen Versäumnissen, die meine Kritiker mir vorwerfen. Für andere bin ich ein Symbol, und für mich selbst bin ich immer ich selbst geblieben.
    Ich lege Charlie die Hände auf die Schultern, und wir beugen uns vor und geben uns einen Kuss. »Ella kommt gegen vier, und danach muss ich einem Schülerchor aus lauter Drittklässlern eine Führung geben, aber ansonsten hoffe ich, dass wir dazu kommen, uns ein bisschen zu entspannen«, sage ich. (Dass unsere Tochter für den Galaabend nach Hause kommt, ist für mich mit Abstand das Beste daran – ich will sie zwar nicht bedrängen, aber es macht mich sehr glücklich, wenn sie uns besucht.) »Falls wir bei dir vorbeikommen sollen, wenn du mal eine freie Minute hast, sag Michael, dass er uns anrufen soll.«
    »Kommt Wyatt gar nicht mit?« Mit Wyatt ist Ella seit anderthalb Jahren liiert. Sie arbeiten beide als Finanzanalysten bei Goldman Sachs in Manhattan, und Charlie spielt gern mit Wyatt

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