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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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möchte ich noch einen Zwischenstopp in Wisconsin einlegen«, sage ich.
    Jessica zieht die Augenbrauen hoch. »Wegen deiner Mutter?«
    Meine Mutter hat auch ihren zweiten Ehemann überlebt (Lars, der sich vielleicht als einziges Mitglied von meiner oder Charlies Familie uneingeschränkt über Charlies politischen Aufstieg freute, ist 1996 an akutem Nierenversagen gestorben), und sie lebt jetzt in einer Anlage für betreutes Wohnen auf einem Gelände etwas außerhalb von Riley, das während meiner Kindheit noch eine Viehweide war. Sie ist an Alzheimer erkrankt, aber es ist ein Segen, wie gutmütig sie geblieben ist und wie glücklich sie nach wie vor zu sein scheint. Wenn ich daran denke, wie viele Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen depressiv oder gewalttätig werden, bin ich dankbar. Aber obwohl meine Mutter den Vorwand für meinen heutigen Ausflug liefert, ist sie nicht diejenige, die ich besuchen möchte.
    Als ich heute Morgen dachte, es sei Dena Janaszewski gewesen, die Hank kontaktiert hätte, hatte ich durchaus Grund zu dieser Annahme – zwischen Dena und mir ist einiges offen geblieben, und es hätte eine Abrechnung sein können. In dem Moment, da ich erfuhr, dass sie mit der Erpressung nichts zu tun hatte, war ich beinahe enttäuscht. Ich habe oft an jenen Nachmittag in Riley zurückgedacht, als sie Ella das Diadem geschenkt hat – je mehr Zeit vergangen ist, desto überzeugter wurde ich davon, dass sie es getan hat, nicht ihre Mutter, und dass es eine versöhnliche, keine spöttische Geste war –, und habe immer bedauert, dass ich dieses Geschenk nicht erwidert habe. Es fiel in eine so turbulente Phase meines Lebens, als mir jede andere Beziehung außer der zu Charlie unwichtig vorkam. Nach so vielen Jahren befürchte ich, dass ich eine echte Gelegenheit verpasst habe, und mir wird zunehmend bewusst, dass ich, wenn ich nicht selbst eine schaffe, vielleicht keine weitere bekomme. Wie die meisten Menschen habe ich mich bei jedem Übertritt in ein neues Lebensjahrzehnt immer wieder selbst davon überzeugen können, dass ich noch nicht alt sei, dass ich nur aufgrund meiner früheren Jugend eine verzerrte Sicht auf die jeweilige neue Stufe gehabt hätte, ob es nun dreißig, vierzig oder fünfzig Jahre waren. Selbst mit sechzig gelang mir diese Selbsttäuschung noch – schließlich haben Sechzigjährige Spaß am Bungeejumping und durchschwimmen den Ärmelkanal –, aber jetzt habe ich ein Alter erreicht, in dem es, wenn mir etwas zustoßen würde, traurig wäre, aber nicht tragisch. Ich wäre ein wenig zu jung, aber nur ein wenig. Und entsprechend wäre ich nicht schockiert, wenn ich hören würde, dass Dena gestorben sei – wie ich davon erfahren würde, jetzt, da meine Mutter krank ist und Denas Eltern beide nicht mehr leben, weiß ich nicht, aber irgendwann würde ich es wohl herausfinden. Es sind schon einige meiner Altersgenossen gestorben: Rose Trommler hat 2003 eine Brustkrebserkrankung nicht überlebt, und der Ehemann von Betty Bridges Scannell, meiner ehemaligen Mitschülerin an der Highschool, ist während einer Kreuzfahrt in der Karibik einem Hirnaneurysma zum Opfer gefallen. Als ich von diesen Todesfällen hörte, warich tagelang niedergeschlagen, aber was ich bei Dena empfinden würde, wäre nicht bloß Trauer, sondern tiefe Reue. Drei Jahrzehnte, mein halbes Leben lang, war sie meine engste Freundin. Natürlich hatte sie ihre Schwächen, aber wer hat das nicht? Sie war lebhaft und witzig und so viel mutiger, als ich es je war, und wir standen einander so nah – es gibt Freundschaften, die auf einer viel schmaleren Grundlage überdauern.
    Es ist merkwürdig, aber inzwischen ist wahrscheinlich Jessica meine beste Freundin. Jadey und ich telefonieren immer noch einmal die Woche, und sie kommt uns mehrmals im Jahr, mal mit Arthur und mal allein, in Washington besuchen. Ich finde es unglaublich erfrischend, wenn sie im Weißen Haus zu Gast ist – zu Charlie sagt sie gern: »Ich sage nur dann Mr. President zu dir, wenn du mich Dame Jadey nennst«, und dann beschwert sie sich darüber, dass sie immer an Verstopfung leidet, wenn sie uns besucht, weil sie in dieser historischen Kulisse einfach nicht entspannt die Toilette benutzen kann –, aber im Laufe der Jahre ist zwischen uns eine unausgesprochene Distanz gewachsen. Sie ist zwar Republikanerin, hat es Charlie aber übel genommen, als er sich für eine Verfassungsänderung einsetzte, die gleichgeschlechtliche Ehen verbieten sollte; sie ist

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