Die Frau des Praesidenten - Roman
nach wie vor ihrem Freund Billy Torks, dem Innenarchitekten, eng verbunden, den ich immer sehr unterhaltsam fand, aber seit Jahren nicht gesehen habe. Die Spannungen, die dadurch entstanden, sind wieder abgeklungen, aber ein Problem bleibt zwischen uns immer bestehen: Früher lebten wir ein sehr ähnliches Leben, und heute nicht mehr. Sie ist noch immer Mitglied im Garden Club, ist dem Stiftungsrat des Milwaukee Art Museum beigetreten und hilft an der Biddle Academy beim Fundraising, obwohl Drew und Winnie dort schon vor Jahren ihre Abschlüsse gemacht haben. Um all diese Aktivitäten beneide ich sie und werde ganz melancholisch, wenn sie sie erwähnt, aber Jadey geht davon aus, ich müsse ihre Geschichten aus Maronee langweilig und provinziell finden. Obwohl ich mehr als einmal versucht habe, sie vom Gegenteil zu überzeugen, weigert sie sich zu glauben, dass ich es bei weitem vorziehen würde, über ihr Leben stattüber meins zu reden. »Nein, nein«, sagt sie, »erzähl mir lieber von deinem Treffen mit dem spanischen Königspaar.«
Es kommt mir unangebracht vor, mich meiner Schwiegerfamilie oder Freunden aus Wisconsin gegenüber über meine Lebensumstände zu beklagen, also halte ich mich damit zurück. Zu Beginn von Charlies politischer Karriere habe ich einmal meiner Schwägerin Ginger erzählt, dass ich mir Sorgen um die Blumenarrangements bei einem Ball machte, den wir in Madison ausrichten wollten, und sie antwortete: »Du hast wirklich Nerven, dich über so etwas aufzuregen, wo Ed es doch viel mehr verdient hätte, Gouverneur zu werden, als Charlie.« Es verschlug mir die Sprache, nicht zuletzt, weil Ginger sonst so zurückhaltend war. Aber noch mehr überraschte mich die Wandlung, die Priscilla durchmachte, die Letzte, von der ich erwartet hätte, dass sie sich von unserem Ruhm beeindrucken lassen würde: Kurz nach Charlies Wahlsieg als Gouverneur vertraute sie mir an, ich sei schon immer ihre liebste Schwiegertochter gewesen und sie hätte immer den Eindruck gehabt, wir hätten viel gemeinsam. Als Charlie dann Präsident wurde, erzählte sie nicht nur mir, sondern auch sämtlichen Verwandten und der Presse, ich sei ihr der liebste
Mensch
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Andere Frauen, die ich noch aus Maronee oder Madison kenne, Freundinnen aus dem Garden Club oder Mütter von Ellas Klassenkameraden, haben offenbar bei all dem schwindelerregenden Pomp, der mein jetziges Leben umgibt, Probleme, sich vorzustellen, dass ich noch derselbe Mensch bin und mich meist mit ganz alltäglichen Sorgen und Nöten herumschlage: dass mein Lieblingsshampoo nicht mehr hergestellt wird, dass mein Ehemann schnarcht, dass ich immer zu wenig Zeit finde, um Sport zu treiben. Und es fällt ihnen schwer zu glauben, dass auch meine weniger alltäglichen Ängste, wie meine Sorgen um den Krieg gegen den Terrorismus, nicht durch ihre schiere Größe zu etwas ganz anderem werden, zu einer Kategorie von Gefühlen, die sie sich gar nicht vorstellen können – das könnten sie sehr wohl, wenn sie nicht so sehr damit beschäftigt wären, beeindruckt zu sein.
Aus allen diesen Gründen weiß ich Jessica so zu schätzen, auch wenn mir klar ist, dass es keine reine Freundschaft ist, die uns verbindet, weil ich ihre Arbeitgeberin bin. Aber dass wir nicht gleichaltrig sind, macht es uns eher leichter, glaube ich, denn anders als Jadey vergleicht Jessica sich nie mit mir und ihren Ehemann nicht mit meinem. (Im Jahr 2002 hat sie einen sehr netten Mann namens Keith geheiratet, der bei der Weltbank arbeitet. Charlie und ich waren bei der Hochzeit im Washington Club am Dupont Circle mit dabei, und beim Empfang tanzte Charlie mit Miss Ruby, die inzwischen im Ruhestand und über achtzig Jahre alt, aber noch so mürrisch und energiegeladen wie immer ist, und ich mit Jessicas jüngerem Bruder Antoine, der zu dem Zeitpunkt 1,80 Meter groß und Freshman an der Biddle Academy war.) Jessica und ich haben uns zu einem Zwei-Personen-Buchclub zusammengeschlossen: Wir wechseln uns damit ab, unsere Lektüre auszuwählen, und auch wenn wir außer der Vorgabe, dass es Belletristik sein soll, keine weiteren Regeln aufgestellt haben, lesen wir meistens Übersetzungen von Autoren aus Ländern, die wir entweder gerade bereist haben oder als nächste besuchen werden. Entscheidend ist für mich nicht so sehr, dass ich Jessica mein Lebensgefühl als First Lady erklären könnte, sondern dass ich genau das nicht muss. Jessica ist überall mit dabei. Sie weiß, wie fremdbestimmt und reglementiert
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