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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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Erfahrungen vorzuweisen, wie ich anführte, als ich gebeten wurde, mein Votum abzugeben (was Hank nie tat und Charlie nur gelegentlich; meist wollte er eher selbst seine Gedanken formulieren als meine Meinung hören). Außerdem befürchtete ich, Frank Logans eigene politische Ambitionen könnten seine Zusammenarbeit mit Charlie behindern, denn wenn er Vizepräsident wurde, würde er anschließend wahrscheinlich als Präsident kandidieren wollen, während Arnold Prouhet, wenn Charlie zwei Amtszeiten durchlief, danach dreiundsiebzig Jahre alt wäre und vermutlich nicht mehr selbst antreten würde. Charlies andere Berater waren unterschiedlicher Meinung, und ich war fast sicher, dass Charlie sich für Frank Logan entscheiden würde, aber das tat er nicht. Er entschied sich für Arnold. Am Abend bevor er seine Entscheidung offiziell bekanntgab, einem Abend im Juli 2000, sagte er zu mir: »Ich glaube, du hast recht mit Logan, dass er zu versessen darauf ist, bei den Leuten durchs Schlüsselloch zu schielen, statt echte Visionen zu entwickeln.«
    Also muss ich mich noch einmal fragen, ob ich für das, wasseitdem geschehen ist, mitverantwortlich bin. Wäre Frank Logan ein besserer Vizepräsident gewesen, hätte es mit ihm weniger Blutvergießen gegeben? Einen Anstieg der Homophobie und weitere Einschnitte in die Rechte der Frauen, aber nicht diesen unilateralen Militäreinsatz und diese trotzige Begeisterung für den Präventivkrieg? Es steht außer Zweifel, dass Charlie von Arnold Prouhet stark beeinflusst worden ist, und vielleicht besteht Charlie gerade
wegen
Arnolds Bedeutung für seine Politik so sehr darauf, dass er an den Krieg glaubt und nicht bereit ist, nachzugeben. Wie peinlich wäre es für ihn, sich nicht nur auf den Rat eines hierarchisch Tiefergestellten verlassen zu haben, sondern auch noch auf einen falschen Rat – wie unerfahren würde das Charlie aussehen lassen! Also zieht er diese Möglichkeit gar nicht erst in Betracht, sondern verfolgt stur die einmal eingeschlagene Richtung.
    Vor vielen Jahren, als wir gerade nach Milwaukee gezogen und dem Country Club beigetreten waren, gingen wir eines Abends dort im großen Speisesaal im Erdgeschoss des Clubhauses essen, und ich entschuldigte mich zwischendurch, um die Toiletten aufzusuchen. Es gab dort einen Lounge-ähnlichen Vorraum, der mit Sofas, einem Schminktisch und einem Garderobenbereich sehr anheimelnd eingerichtet war. Bei größeren Feiern versammelten sich dort manchmal ein paar Frauen, um zu plaudern oder ihr Make-up aufzufrischen. Ich sah das alles zum ersten Mal, und als ich den Vorraum betrat, stand ich zwei weiteren Türen mit goldenen Griffen gegenüber. Ich wollte zu den Kabinen, und anstatt eine der drei älteren Damen zu fragen, die dort auf den Sofas saßen – sie waren vermutlich jünger, als ich es jetzt bin, und sehr modisch gekleidet –, ging ich aufs Geratewohl auf die weiter entfernte, gegenüberliegende Tür zu. Als ich sie öffnete, fand ich mich in dem Speisesaal wieder, in dem ich gerade noch mit Charlie gegessen hatte. Ich begriff gleich, dass es zwei Eingänge zu den Damentoiletten gab und dass die Kabinen hinter der anderen Tür liegen mussten. Es wäre nur logisch gewesen, kehrtzumachen, aber ich fühlte mich befangen. Ich war neu im Country Club und dachte, die Frauen im Vorraum würden meinenIrrtum bemerken und mich für unfähig halten, also ging ich mit voller Blase zum Tisch zurück und hielt aus, bis wir eine Stunde später wieder zu Hause waren. Was ich damit sagen will, ist, dass ich Charlies Verhalten teilweise verstehe. Ich verstehe es, weil ich ihn liebe und schon deshalb dazu neige, ihn zu verstehen, aber es liegt auch daran, dass ich, anders als viele Regierungsmitglieder und Presseleute, Menschen nicht schon deshalb erhabene Motive zuschreibe, weil sie so eine erhabene Position ausfüllen.
    Ich glaube, dass Charlie nach den Terroranschlägen 2001 in Panik geriet. Und Arnold, der mit genau solchen Staaten langjährige Erfahrungen hatte und schon ein Jahrzehnt davor einen Diktator bekämpft hatte, war mit Empfehlungen schnell bei der Hand. Er war ein Falke; er wollte, dass Amerika seinen Status als Supermacht verteidigte, und glaubte an den Sieg. Er überzeugte Charlie, oder Charlie überzeugte sich selbst – den Mittleren Osten zu befrieden,
das
wäre mal ein Vermächtnis –, und alles andere folgte darauf. Was mich in der Zeit danach am meisten überraschte, war, wie das amerikanische Volk und die Medien ihn

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