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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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Besprechung im Sit Room, können wir den Film auch morgen ansehen?«Oder er sagte über den Außenminister: »Wir haben Stanley auf seine Rede vor dem UN-Sicherheitsrat vorbereitet, und diesmal haut er sie wirklich von den Socken.«
    Heutzutage gehört es für Anhänger beider Parteien, aber auch für Leute, die sich keiner von beiden verpflichtet fühlen, beinahe zum guten Ton, zu sagen, Charlies Regierung hätte den Krieg vermasselt und wir sollten die Truppen abziehen. Und Charlies Regierung hat tatsächlich unterschätzt, wie heruntergekommen die Infrastruktur des Landes war, wie groß die Gefahr von Aufständen und wie viele Waffen die Aufständischen besaßen. Das alles ist inzwischen deutlich geworden, aber die Frage bleibt, wie es weitergehen soll. Für Amerika wäre es sicher von Vorteil, sich zurückzuziehen, aber was ist mit
ihnen
, mit den Bewohnern des Landes, in das wir einmarschiert sind?
    Als Ella an der Biddle Academy in der Montessori-Vorschule war, wurden den Kindern zum Spielen Bauklötze, hölzerne Puzzle und, was Charlie sehr amüsierte, auch ein Waschbecken voller Tassen und Teller aus Plastik angeboten (»Dann bekommt sie gleich eine Ausbildung als Tellerwäscherin!«, witzelte er). Bei allen Aktivitäten gab es bestimmte Grundregeln: Bevor man mit einer neuen Aufgabe beginnt, muss man erst die vorherige zu Ende bringen, und jeder räumt seine eigenen Sachen auf. Inmitten dieses Krieges in jenem heißen, sandigen, 10   000 Kilometer von hier entfernten Land, dessen Kunst und Kultur sich bis zu den Anfängen der menschlichen Zivilisation zurückverfolgen lassen, kreisen meine Gedanken immer wieder um diese Grundprinzipien, um unsere Verantwortung, das Chaos, das wir verursacht haben, wieder in Ordnung zu bringen. Seit vier Jahren frage ich mich, ob alles nur noch schlimmer würde, wenn wir uns zurückzögen, und bin mir noch immer nicht sicher, ob es überhaupt richtig war, dort einzumarschieren. Wenn es darum ging, einen Diktator zu stürzen, wird diese Mission dann dadurch entwertet, dass mehr Menschen gestorben sind, als die Amerikaner es vorher angenommen haben? Wenn der Einmarsch berechtigt war, aber schlecht ausgeführt wurde, entzieht ihm das seine Legitimation?
    Wenn ich politische Experten im Fernsehen sehe oder bei Veranstaltungen inner- und außerhalb des Weißen Hauses die Fachleute der Republikaner kennenlerne, erstaunt mich immer wieder ihre Selbstsicherheit. Gaukeln sie die nur vor, solange die Kameras laufen, und streifen sie abends zu Hause zusammen mit ihren Schuhen und Socken wieder ab? Oder kommen sie immer so theatralisch und fest überzeugt daher? Ich beneide sie auf dieselbe Weise, wie ich streng religiöse Menschen beneide, auch meinen Mann, aber es ist mir nie gelungen, so zu werden wie sie. Was ich von diesem Krieg halte, werde ich eines Tages wissen, wenn Charlie schon lange nicht mehr im Amt ist, aber noch nicht jetzt – es ist wie ein Roman, den ich noch nicht zu Ende gelesen habe.
    So habe ich es mir jedenfalls oft vorgestellt.
    Wenn aber Andrew Imhofs Tod die Tragödie meines Lebens war, wenn ich seitdem ständig versucht habe, meinen Fehler wiedergutzumachen und mein Überleben zu rechtfertigen – wenn sein Tod das schlimmste Ereignis war, das ich mir vorstellen konnte, welche Worte und welche Vorstellungen gibt es dann überhaupt, um die Tausende toten Soldaten und Zivilisten zu fassen? Wenn meine Kritiker zu Recht behaupten, dass ich für Charlies politische Entscheidungen und auch für die Kriegserklärung mitverantwortlich bin, dann ist Andrews Tod noch das Geringste, das ich verursacht habe, vollkommen nichtig und unbedeutend. Was würde es für mich bedeuten, wenn ich glaubte, dass ich an den Konsequenzen dieses Krieges mitschuldig bin? Der neunundzwanzigjährige ehemalige Highschool-Sportler aus Hot Springs, Arkansas, der von einer Maschinengewehrsalve getötet wurde, als er im Süden der Hauptstadt ein Haus durchsuchte; der fünfundzwanzigjährige Sergeant aus Ogden, Utah, der einen Monat nach der Geburt seiner Tochter bei seinem dritten Einsatz starb, der nicht vorgehabt hatte, sich noch einmal einzuschreiben, aber den Bonus von 24   000 Dollar als Anzahlung für sein Haus brauchte; der Neunzehnjährige aus Cape Girardeau, Missouri, der mit achtzehn in die Army eingetreten war und den eine Bombe auf einem Marktplatz tötete, und die Zehntausenden, wahrscheinlichsogar Hunderttausenden Zivilisten, ein Mitglied des Stadtrats, ein Geschäftsinhaber samt

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