Die Frau des Praesidenten - Roman
können wir sicher sein, das sie es außer Norene niemandem erzählt hat?«
»Und wenn schon! Das wäre doch nichts als ein Gerücht, eine Urban Legend. Wenn eine ehemalige Ärztin sich hinstellt und sagt, dass
sie selbst
die Abtreibung vorgenommen hat, kannst du dir sicher sein, dass die Presseleute aufhorchen. Aber wenn ein Freund einer Freundin einer Pflegerin einer toten ehemaligen Ärztin damit ankommt – das wirkt ungefähr so glaubwürdig wie die Geschichte von Richard Gere und der Wüstenrennmaus.«
»Ich nehme an, du hast es Charlie schon gesagt?«
»Ich soll dir von ihm gratulieren.«
Als ich aufgelegt habe, sagt Jessica im Scherz zu mir: »Was denn, hat Hank jemanden auf sie angesetzt?«
»Du hast ja recht. Vielleicht hat sie sogar gespürt, dass es zu Ende geht, und wollte deshalb handeln, aber ich finde es trotzdem verstörend. Hank führt einen Freudentanz auf, weil er glaubt, damit sei ich aus dem Schneider.«
Jessica schweigt einen Moment und denkt nach, dann sagt sie: »Wahrscheinlich bist du das auch.«
Wenn ich über den Verlauf von Charlies Präsidentschaft nachdenke und versuche, den Punkt auszumachen, an dem der Stilund die Richtung seiner Regierung unverrückbar festgelegt wurden, komme ich immer wieder darauf zurück, wie er seinen Vizepräsidenten ausgewählt hat. Im Sommer 2000 musste die Entscheidung rechtzeitig vor der Republican National Convention fallen, und es waren noch zwei Anwärter im Rennen: Arnold Prouhet und Frank Logan. Frank war zwei Jahre jünger als Charlie und durchlief gerade seine dritte Amtszeit als Senator für Colorado, kam aus einer wohlhabenden Baptistenfamilie, hatte acht Kinder und verurteilte Homosexualität und Abtreibungen aufs schärfste. (Ich habe es schon immer, gelinde gesagt, etwas merkwürdig gefunden, wenn Konservative, insbesondere konservative Männer, sich auf diese Themen kaprizieren. Dass Menschen dermaßen viel Zeit und Energie in Dinge investieren, die sie erklärtermaßen abstoßend finden, kommt mir verdächtig vor.) Ich hielt Frank nicht für den geeigneten Vizekandidaten und fand außerdem die Vorstellung nicht gerade angenehm, Zeit mit Franks Frau Donna Sue zu verbringen, die im Selbstverlag mehrere Bücher mit Tipps zur traditionellen christlichen Erziehung herausgebracht hatte.
Arnold Prouhet war dagegen in den siebziger und den frühen achtziger Jahren Kongressabgeordneter aus Nevada gewesen und hatte anschließend unter zwei Präsidenten als Sicherheitsberater fungiert. Soweit ich wusste, war Arnold eher in finanzpolitischen Fragen als in der Sozialpolitik konservativ eingestellt, war elf Jahre älter als Charlie und schien nach dem, was ich bei einigen wenigen Gelegenheiten von ihm mitbekommen hatte, eher ernst und wortkarg zu sein – ich dachte, diese Eigenschaften könnten hilfreich sein, um Charlies sprunghaftes Naturell auszugleichen. (Charlie hatte zwar unter Hanks Führung gelernt, sich diszipliniert in politische Sachverhalte einzuarbeiten, aber ich wusste, und ich glaube, alle anderen wussten es auch, dass er eher von der Freude an der Macht, von Abenteuerlust und sozialer Neugier angetrieben wurde als von passioniertem Interesse an den Einzelthemen. Es hat sich bald als problematisch herausgestellt, dass sich passioniertes Interesse nicht glaubhaft simulieren lässt: Charlie brennt nicht für seine Themen, so wie Hank es tut – erwürde nie aus reinem Vergnügen ein Buch über den ersten Zusatzartikel zur Verfassung lesen –, und deshalb ist er im Laufe der Jahre so oft ins Stocken geraten, wenn es Abweichungen vom vorgesehenen Ablaufplan gab oder wenn, wie bei Debatten und Pressekonferenzen, gar kein detailliertes Script existierte. Präsident zu sein ist für ihn, als müsste er als Neuntklässler eine Klausur über die Odyssee schreiben und hätte zwar von allen Schülern am meisten gelesen und sogar am Vorabend noch eine Stunde gelernt, gehörte aber nicht zu denen, die den Text wirklich lieben. Außerdem wäre es ihm immer lieber, den Unterricht mit einem Witz aufzulockern, als tiefschürfende Erkenntnisse vorzutragen.)
Hank sprach sich gegen Arnold Prouhet aus, weil seiner Meinung nach Frank Logan dieselbe jugendliche Energie ausstrahlte wie Charlie, während Arnold einen ältlichen und mürrischen Eindruck machte. Zudem fand er, es könnte Charlie unsicher erscheinen lassen, wenn er Arnold wählte, weil es danach aussähe, als brauchte er eine Vaterfigur. Aber Arnold hatte wichtige außenpolitische
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