Die Frau des Praesidenten - Roman
stand gar nicht zur Debatte, das wäre viel zu riskant gewesen.) Das Blaulicht und die Sirenen sorgen wie immer für einen unangenehm theatralischen Auftritt, aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Ich wäre allein nicht dazu befugt, Edgar Franklin ins Weiße Haus einzuladen, und selbst wenn ich es vorschlagen würde und wenn ich Charlie und seine Berater davon überzeugen könnte, dass es der richtige Weg sei, müsste sein Besuch minutiös durchgeplant werden.
Ich bin billig davongekommen – so kommt es mir jetzt vor. Ich war erleichtert darüber, dass Gladys Wycombs Drohungnicht wahr geworden ist, aber auch enttäuscht. Es ist nicht so, dass ich mich dazu gedrängt fühle, Colonel Franklin zu sehen, um eine Enthüllung durch eine andere zu ersetzen – damit die amerikanische Öffentlichkeit statt vom Schwangerschaftsabbruch von meinen Sympathien für einen Antikriegs-Aktivisten erfährt –, aber als ich heute gezwungen war, mich mit Gladys Wycombs Drohung auseinanderzusetzen, kam sie mir weniger beunruhigend vor, als wenn ich nur theoretisch darüber nachgedacht hätte; sie erschien mir fast schon verlockend. Seit Charlie sein erstes politisches Amt angetreten hat, habe ich es immer als meine oberste Pflicht empfunden, für ihn da zu sein. Ich wollte die eine Person sein, die ihm tagtäglich nahe war, ohne dafür bezahlt zu werden, die einfach nur eine Freundin ist. Ist es dann verwunderlich, dass ich einem Ereignis mit gemischten Gefühlen gegenüberstand, das die Aufmerksamkeit auf meine Differenzen mit Charlie gelenkt hätte, ohne dass ich selbst auf sie hinweisen musste? Wäre es nicht eine doppelte Wohltat gewesen, mich einerseits öffentlich und sogar auch privat über Dr. Wycombs Indiskretion zu beklagen und ihr andererseits insgeheim dankbar zu sein?
Was für verworrene Grübeleien! Wenn, sagen wir, Ella mir gegenüber ähnliche Gedanken äußern würde, würde ich dann nicht zu ihr sagen: »Um Himmels willen, man darf doch noch seine Meinung haben!«, würde ich nicht sagen: »Eine Beziehung, in der du deine Ansichten nicht vertreten kannst, ist gar keine«, würde ich nicht sagen: »Es gibt immer, egal, bei welchem Thema und in welcher Situation, eine Möglichkeit, auf angemessene und höfliche Weise deine Meinung zu sagen, und es mag vereinzelt Fälle geben, in denen es besser ist, zu schweigen, aber wenn es um Gewissensfragen geht, dann ist es nicht nur möglich, sondern wichtig, dass du den Mund aufmachst« – wären das nicht die Ratschläge, die ich geben würde, wenn es um jemand anderes ginge als mich selbst?
Die Autokolonne hält, als wir noch mehr als zwei Blocks von dem Vorgarten in der Fourth Street SE entfernt sind, und die Leibwächter in unserer Limousine und in den anderen Wagen und die Polizisten, die uns eskortieren, konferieren ausgiebigüber ihre Headsets. Ich kann das Wort
Banjo
heraushören, den Codenamen, den sie für mich verwenden (Charlies Codename ist
Brass
und Ellas
Braid
– die Secret-Service-Agenten haben den Anfangsbuchstaben vorgegeben und uns unsere eigenen Namen aussuchen lassen, aber meinen hat sich Ella ausgedacht). In unserem Wagen sitzen hinten Cal und Walter, die uns noch immer begleiten, dazu José und noch ein Kollege von ihm, der am Steuer sitzt. Jessicas Telefone klingeln beide gleichzeitig – sie hat schon Belinda angerufen und sie gebeten, weiterzugeben, dass wir spät dran, aber auf dem Weg seien –, und ich entdecke selbst aus dieser Entfernung die Übertragungswagen der Fernsehsender mit ihren ausgefahrenen Antennen, die weit über die Dächer der Reihenhäuser hinausragen. Zu beiden Seiten der Straße parken Autos dicht an dicht, und in einiger Entfernung vor uns sind die Gehwege voller Menschen, von denen einige auch Schilder hochhalten.
»Näher ran können wir nicht, Ma’am«, sagt Cal. »Da vorn ist es zu voll. Wenn Sie erlauben, würden wir gern umkehren und Sie nach Hause bringen.«
Jessica und ich sehen uns an.
»Kann man nicht irgendwie …«, setze ich an, und Jessica fragt Cal: »Und wenn wir Edgar Franklin einladen, ins Auto zu kommen?«
Cal sagt leise in sein Mikro: »Wir biegen jetzt in die D Street ein.«
»Was sagen Sie zu Jessicas Vorschlag?«, frage ich.
»Das Risiko ist zu groß, dass sich ein Menschenauflauf bildet«, sagt Cal, und schon sind wir in die D Street eingebogen, und die Sirenen heulen auf.
»Nein, warten Sie, Cal«, sage ich. »Ich bestehe darauf. Wir können weiter abseits parken, und Sie können
Weitere Kostenlose Bücher