Die Frau des Praesidenten - Roman
Spiele, alles wurde abgesagt, in Riley und überall. Restaurants, Geschäfte und Kinos waren geschlossen, und auf der Straße fuhren so gut wie keine Autos. Man konnte nichts tun, außer sich über das, was hier geschehen war, Gedanken zu machen. Gleichermaßen betäubt, betrachtetenmeine Eltern, meine Großmutter und ich in den darauffolgenden Tagen das Bild von Lyndon Johnson in der Zeitung, wie er an Bord der
Air Force One
vor Sarah Hughes den Amtseid ablegt, sahen im Fernsehen die surrealen Bilder von Lee Harvey Oswald, wie er im Keller des Polizeigebäudes in Dallas von Jack Ruby erschossen wird, hörten Johnsons Ansprache an Thanksgiving: »Aus diesem tragischen Unglück soll Amerika zu neuer Größe emporsteigen.«
Die Wahrheit ist: Ich hatte Kennedy bewundert, verehrt, ihn für klug, gut aussehend und tatkräftig gehalten. Und dennoch erleichterte mich sein Tod auf grausame Weise. Ich
freute
mich nicht; natürlich nicht. Dennoch war das, was geschehen war, derart schrecklich, dass meine eigene Tat dadurch in den Hintergrund rückte. Nicht für mich, aber für alle anderen; was ich getan hatte, erschien im Vergleich unbedeutend. Das wurde mir bereits an diesem Nachmittag in der Schule bewusst. Dieser Tod war etwas ganz anderes, weitaus Schlimmeres als der Tod von Andrew, und er hatte nichts mit mir zu tun; nichts daran war meine Schuld. Sollte es auch keine Absolution bedeuten, näher würde ich ihr niemals kommen.
Bis heute schäme ich mich zutiefst für meine damalige Reaktion und habe das erleichterte Gefühl jenes Nachmittags in meinem ganzen Leben nur einer einzigen Person gestanden.
TEIL 2
3859 Sproule Street
In dem Monat nach der Trennung von Simon Törnkvist beschloss ich, mir mit dreißig – also in drei Jahren –, sollte ich bis dahin nicht verheiratet sein, auch alleine ein Haus zu kaufen. Ich erzählte niemandem davon, doch der Gedanke hatte etwas Beruhigendes; mein Leben schien dadurch weniger etwas zu sein, worauf ich wartete, als vielmehr etwas, das ich plante. Wenn ich in Madison herumfuhr, dachte ich manchmal:
ein Haus wie dieses
. In einer Straße mit hohen Bäumen, mit höchstens drei Schlafzimmern, einem nicht zu großen Hof, aber kein Eckhaus, die wirkten zu ungeschützt. Als Bibliothekarin an der Theodora Liess Elementary School verdiente ich 833 Dollar netto im Monat, und nachdem ich meine Entscheidung getroffen hatte, nahm ich von jedem Gehaltsscheck zweihundert Dollar und legte sie auf einem Sparbuch an; jeden letzten Samstagmorgen im Monat zahlte ich den Betrag in einer Filiale der Wisconsin State Bank & Trust ein.
Ich bin mir nicht sicher, wann genau ich einen Immobilienmakler eingeschaltet hätte – am Tag meines dreißigsten Geburtstags? Am Tag danach? So ausgereift war mein Plan nie gewesen –, doch wie sich herausstellte, sollte es erst viel später dazu kommen, da im Februar 1976, zwei Monate vor meinem Geburtstag, mein Vater starb. Wie sein eigener Vater erlitt auch er einen Herzinfarkt, und obwohl es mein Vater bis in die fünfziger schaffte – also zwei Jahrzehnte länger lebte als mein Großvater –, schien mir das selbst unter diesem Aspekt eine fragwürdige Gnadenfrist.
Es schneite am Tag der Beerdigung, und meine Mutter, Großmutter und ich versuchten, um unserer aller willen und weil wir Mittelwestler waren, es stoisch zu ertragen; so war meine Mutter – vorgeblich oder tatsächlich – vor allem mit der Frage beschäftigt, ob das schwarze Kreppkleid, das ich mir bei Prange’s gekauft hatte, auch warm genug war. Nach der Beisetzungstatteten uns ihre Geschwister samt Partnern, die ich alle seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, einen unbeholfenen Besuch ab. Auch Mitglieder der Calvary Lutheran Church sowie die Mitarbeiter meines Vaters aus der Bank kamen vorbei, alle brachten Blumen und Essen mit. Als alle gegangen waren, kehrte Ruhe ein, die durch den Schnee, der draußen gefallen war, noch verstärkt wurde.
Ich musste an diesem Sonntagabend noch zurück nach Madison – in der Woche zuvor hatte ich für drei Tage eine Vertretung organisiert, aber am nächsten Morgen wurde ich in der Schule zurückerwartet –, und meine Mutter, die Arme gegen die Kälte um sich geschlungen, begleitete mich zum Wagen. Ich fuhr los und ließ sie hinter mir zurück, ließ das Haus, in dem ich aufgewachsen war, hinter mir zurück, und als ich endlich allein war, begann ich zu schluchzen. Ich hatte gerade den Highway erreicht, als ein erneutes Schneegestöber einsetzte. Mir
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