Die Frau des Praesidenten - Roman
Durchgang zwischen zwei Häusern schlüpfte – vermutlich betrat ich unbefugterweise ein Privatgrundstück. Mit dem Rücken an eine weiße, mit Aluminium verkleidete Hauswand gelehnt, stand ich da, meine Schultern bebten, und erleichtert vernahm ich über mir das blasende Geräusch einer Klimaanlage. Es war nicht einmal so, dass ich der Meinung war, keine Strafe verdient zu haben; sicher verdiente ich sie. Fast vierzehn Jahre waren inzwischen seit dem Abend vergangen, an dem ich Andrew Imhofs Wagen gerammt hatte – das Grauen, das mich jedes Jahr Ende August, Anfang September überfiel, würde in ein paar Wochen mit der gleichen Präzision einsetzen wie im Frühling die Kirschblüte oder die Glühwürmchen Mitte Juni –, und Andrew würde noch immer tot und ich von dem Ausmaß meines Fehlers noch immer erschüttert sein. Andrew würde für immer tot sein und ich für immer erschüttert. Es würde nie vergehen.
Die Probleme, die sich in den vergangenen achtundvierzig Stunden aufgetan hatten, der Verlust der zwanzigtausend Dollar meiner Mutter sowie meine überraschende Zuneigung zu einem Mann, den Dena sich ausgesucht hatte – mit welchem Recht beschwerte ich mich darüber? Alles in allem hatte ich mehr Glück als Pech. Aber es fiel mir schwer, nicht darüber nachzudenken, was ich hätte anders machen können, wie ich diese Reihe von Ereignissen hätte verhindern können. Ich war von meinem rücksichtsvollen und verantwortungsbewussten Weg abgekommen; doch die Gedanken und Gefühle anderer Menschen waren mir nicht egal.
Nein
, sagte ich mir.
Kein Selbstmitleid. Dir geht es gut.
Die Tränen trockneten bereits – je älter ich wurde, desto seltener und weniger lange weinte ich.
Du musst praktisch denken. Überleg dir, welche Schritte nötig sind, geh jedes Problem einzeln an, nicht alle auf einmal. Du hast Andrew gegenüber keinen
neuen Fehler begangen, es ist nur der gleiche Fehler, der wieder zum Vorschein gekommen ist. Du kannst nichts ungeschehen machen; du musst weitermachen, nach vorne schauen und versuchen, weiteres Unglück zu verhindern.
Sogleich wurde mir klar, dass ich das Haus in der McKinley Street nicht würde kaufen können und dass ich Charlie, sollte er tatsächlich anrufen, nicht wiedersehen durfte; ich hatte die Lösungen gefunden, und es war nicht einmal schwer gewesen.
Ich schluckte, holte ein Taschentuch aus meiner Handtasche, um mir die Augen zu trocknen, und trat aus dem Durchgang. Schon vor langer Zeit war ich zu meiner eigenen engsten Vertrauten geworden.
Ich hatte kurzzeitig darüber nachgedacht, es in einem Schmuckgeschäft zu versuchen, das mit alten Erbstücken handelte, doch als ich zurück in Madison die 94 entlangfuhr und zum dritten Mal an einer Werbetafel für das gleiche Pfandhaus vorbeikam, hielt ich dort an. Ich war überrascht, dass der Laden einer Frau gehörte oder zumindest, dass ich eine Frau hinter dem Tresen antraf. Die engen Gänge waren zugestellt mit Fernsehgeräten und Stereoanlagen, Motorrädern und Lederjacken, und auf einem Regal stand unter Glas ein großer Jade-Buddha.
Meine Mutter hatte mir die Brosche unverpackt gegeben, und in dem Moment, als ich sie der Frau reichte, wünschte ich mir, ich hätte noch gewartet und sie erst in eine der drei oder vier kleinen samtenen Schmuckschachteln gelegt, die ich im Laufe der Jahre gesammelt hatte (zum Wegwerfen hatten sie mir immer zu gut gefallen). Darin hätte die Brosche sicher edler gewirkt.
»Die hier würde ich gern verkaufen«, sagte ich. Je weniger ich sprach, dachte ich, desto weniger würde man mir anmerken, dass ich von Pfandleihe nichts verstand. Außer mir war kein anderer Kunde in dem Laden, was mir wenigstens Zuhörer ersparte.
Die Frau war etwa so alt wie meine Mutter, trug mehrere Armreife und Ringe (ihre Fingernägel waren lang und dunkelrot) und eine Silberkette mit einem großen silbernen Kreuz.Ihre messingfarbenen, kurzen Haare waren hochtoupiert, und sie hatte eine tiefe, freundliche Stimme. »Höllisch heiß da draußen, was?«, sagte sie und sah sich die Brosche an.
»Wisconsin im Juli«, pflichtete ich ihr bei.
Bitte
, dachte ich.
Bitte, bitte, bitte.
Sie betrachtete die Brosche durch ein Vergrößerungsglas. »Ich gehe heute Abend mit meiner Enkelin zum Schwimmen, jede Wette, dass der Strand dann brechend voll ist. Ich gebe Ihnen neunzig Dollar dafür.«
Ich sah sie ungläubig an. Sie blickte auf, und ich versuchte, ein normales Gesicht zu machen.
»Wirklich? Sie meinen nicht
Weitere Kostenlose Bücher