Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
gewesen, hätte er vielleicht durch das Wasser schwimmen können. Schon häufig hatte er sich in der Vergangenheit an dem Schweif seines Pferdes festgeklammert und war so über das ein oder andere Gewässer gekommen. Pferde waren gute Schwimmer und hatten einen starken Willen; bekam man ein Pferd also erst einmal zu Wasser, war auch die Wahrscheinlichkeit groß, von ihm hinübergezogen zu werden. Dennoch war es sehr gefährlich. Thiderich selbst konnte nämlich nicht schwimmen, und ein einziger Tritt mit dem Hinterhuf würde ausreichen, dass er seinen Griff um das Schweifhaar für einen Moment lockerte und dann jämmerlich unterging. Zudem war das Wasser jetzt im Winter eiskalt und die Strömung der Weser sehr schnell. Ein Durchschwimmen konnte er wohl ausschließen. Er musste also einen anderen Weg finden und ritt weiter.
Der Hunger überfiel ihn mindestens so überraschend wie der Schneeregen. Nach kurzer Zeit waren Reiter und Pferd bis auf die Knochen durchnässt. Millie hatte sich bei ihrer Flucht offensichtlich sehr verausgabt und war unwilliger als je zuvor. Wo sie noch vor wenigen Stunden Höchstleistungen erbracht hatte, taten Thiderich jetzt die Beine vom Antreiben weh.
Auf seinem Weg die Weser hinab kam er an mehreren einsam gelegenen Bauernhöfen und Fischerhütten vorbei. Jedes Mal, wenn er jemanden zu Gesicht bekam, sah er zu, dass er sich unauffällig verhielt und schnell weiterkam. Er spürte das Misstrauen der Leute, konnte es sich aber nicht recht erklären. Zudem fiel es ihm nach dem heutigen Erlebnis mindestens ebenso schwer, einem Fremden zu trauen.
Je weiter er ritt, desto häufiger teilte sich der Fluss in immer weitere Arme auf, um dann an einer anderen Stelle erneut zusammenzufließen. Das Land wurde mooriger und das Wetter immer unfreundlicher. Weit und breit war kein größerer Ort, geschweige denn ein Übergang über den Fluss zu sehen. Thiderich fragte sich wahrlich, ob die Bewohner des Stedinger Landes denn niemals über das Wasser mussten.
Als er schon meinte, sein Lager für die Nacht am Ufer aufschlagen zu müssen, kam er an ein kleines Dorf namens Rechtenfleth – wie ihm ein junger Bursche mit zwei Säcken auf dem Rücken sagte. All seine Zweifel und seine Vorsicht Fremden gegenüber waren mit dem immerwährenden Regen weggespült worden. Er wollte nur noch ins Trockene, und so folgte er dem Burschen, der ihm das Wirtshaus des Ortes zeigen sollte, das es nach seiner Aussage hier gab.
Millie schien zu ahnen, dass endlich eine Pause nahte, und beschleunigte noch ein letztes Mal ihren Schritt. Hinter dem Jungen betraten sie das kleine Dorf. Thiderich hoffte hier einen ruhigen Abend und eine geruhsame Nacht verbringen zu können, doch die Worte des Jungen verhießen nichts Gutes.
Mit einem warnenden Unterton in der Stimme sagte er: »Wenn ich Euch einen Rat geben darf, Herr, dann verärgert nicht die Ritter, die sich hier auf ihrer Durchreise für die Nacht niedergelassen haben.«
»Von welchen Rittern sprichst du, Bursche?«, fragte Thiderich erstaunt.
Ohne ein weiteres Wort zeigte der Junge mit dem Finger auf eine Ansammlung von sieben gut gekleideten Männern, die vor dem Wirtshaus standen. Sie waren noch einige Längen von ihnen entfernt, doch Thiderich konnte bereits sehen und hören, wie betrunken sie waren. Noch bevor er eine weitere Frage an den Jungen richten konnte, verschwand dieser ängstlich hinter einer kleinen Scheune.
Thiderich blieb allein zurück. Er wunderte sich nicht darüber, dass einem jungen Burschen beim Anblick der rauen Kerle angst und bange wurde, doch er selbst spürte keine Furcht. Durch sein Vagabundendasein war er den Umgang mit Betrunkenen gewohnt, und so trieb er Millie beherzt in Richtung der Männer.
Je näher Thiderich kam, desto mehr verstummten die Gespräche der Ritter. Feindselig starrten sie den Fremden an. Thiderich nahm sich vor, sie einfach nicht zu beachten; sicher würden sie ihn dann in Ruhe lassen. Fast schon war er an der Gruppe der Trunkenbolde vorüber, als einer von ihnen Millies Zügel ergriff.
»Heda, wohin des Weges, Bürschchen?«, lallte der Ritter. »Hast du nicht etwas vergessen?«
Augenblicklich fingen die Umherstehenden an, grölend zu lachen. Thiderich wurde klar, dass die Männer Streit anzetteln wollten, und antwortete so ruhig, wie es ihm möglich war: »Was meint Ihr?«
»Das kann ich dir sagen. Ich meine den Wegezoll. Wenn heute jemand in die Schänke will, muss er an uns Wegezoll zahlen.« Die anderen
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