Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Mäntel vom Schneeregen vollständig durchnässt und halb gefroren, standen sie nun tropfend im schummrigen Inneren und schauten sich um. Niemand war zu sehen; nur die kostspielige Ausstattung der offensichtlich reichen Kirche funkelte im verschwenderischen Kerzenlicht. Es war beängstigend still; eigentlich war es das in ganz Rüstringen.
Sie hatten diesen Ort als ihr erstes Ziel in Friesland gewählt, da hier einerseits die Wrackteile der Resens geborgen worden waren, wie die fahrenden Händler berichtet hatten, und andererseits ein Geistlicher ihres Landes hier weilte.
Vater Nicolaus war bereits vor vielen Jahren hier gewesen. Doch seither hatte die Stadt sich verändert. Langwarden war stark angewachsen und versprach auf den ersten Blick, eine willkommene Abwechslung von dem beschwerlichen Ritt zu sein. Der Ort verfügte über eine strategisch besonders günstige Lage und deshalb auch über einen eigenen Hafen. Überall spiegelte sich der durch den Handel erwirtschaftete Reichtum wider.
»Willkommen in meiner Kirche«, hallte es völlig unerwartet hinter ihnen.
»Willkommen, Bruder«, antwortete der Missionar Nicolaus. »Wir sind aus Hamburg und bitten um Obdach.«
Der Geistliche der Langwardener Kirche war sichtlich gerührt, so unverhofft wieder seine Sprache sprechen zu können. Offensichtlich hatte er die Herkunft der Reisenden bereits an ihrer Kleidung erkannt, sodass er sie gar nicht erst in der Sprache der Friesen ansprach. Nach einer herzlichen Begrüßung führte er sie in seine eigenen Schlafgemächer, wo die erschöpften Reiter auch bald in tiefen Schlaf fielen.
Erst am nächsten Tag, als die Laudes, das Morgengebet, vorüber war, erzählten die Reisenden von ihrem Begehr.
»Wir kommen im Auftrag des Hamburger Domkapitels und des Hamburger Rates, um Erkundigungen über den Untergang eines Kaufmannsschiffs einzuholen. Fahrende Händler erzählten, dass in einer nicht weit zurückliegenden Sturmnacht Wrackteile im Langwardener Hafen angespült worden sind.«
Der Priester nickte. »Ich erinnere mich; an die Sturmnacht ebenso wie an die Spielleute. Es kommen nicht häufig Spielleute hierher.«
Nicolaus überging die Bemerkung und fragte ganz direkt: »Stimmt es also, was sie sagen?«
»Ja, es wurden tatsächlich Wrackteile angespült. Einige Fischer haben sie gefunden«, bestätigte der Geistliche. »Dieser Vorfall war allerdings nicht besonders bemerkenswert. Schon häufig konnte man nach einem Sturm altes Strandgut an unserer Küste entdecken. Zumeist stammte es von Schiffen, die vor langer Zeit gekentert waren. Doch dieses Mal war es ungewöhnlich viel Strandgut, das auch noch nicht mit Algen überzogen war, wie es bei älteren Schiffsteilen stets der Fall ist. Die Fischer vermuteten deshalb, dass das Schiff tatsächlich in der vergangenen Sturmnacht, und zwar in unmittelbarer Nähe untergegangen sein musste.«
»Das ist hochinteressant, Bruder«, sagte Nicolaus, während er nachdenklich sein Kinn zwischen Zeigefinger und Daumen nahm. »Können wir die Wrackteile begutachten?«
»Leider nein. Angeschwemmtes Holz wird stets von den Küstenbewohnern eingesammelt und sogleich anderweitig verwendet. Ich bin überzeugt, dass keine der Planken noch aufzufinden ist.«
Diese Antwort war eigentlich keine Überraschung für die Boten. Überall an der Küste wurde so mit noch zu gebrauchendem Strandgut verfahren.
»Wie ist es zum Fund der Schiffsherrnmütze gekommen, die die fahrenden Händler nach Hamburg gebracht haben?«, fragte Bodo den Pfaffen nach der Mütze Arnoldus’, die den Beweis erbracht hatte, dass es sich bei dem gekenterten Schiff um die Resens gehandelt haben musste.
»Nun, gleich nach dem Sturm fror die aufgebrochene Eisplatte an der Küste wieder zu. Erst Tage später fanden ein paar Kinder die im Eis eingefrorene Mütze, die dann von Händlern nach Hamburg gebracht wurde.«
Als alles gesagt war, fassten die drei Männer ihr Wissen zusammen und stellten fest, dass sich die Geschichte der Langwardener mit der Geschichte der fahrenden Händler deckte. Somit hatten sie zwar noch nichts Neues erfahren, doch sie wussten nun, dass sie der richtigen Spur folgten.
Dennoch, viele der folgenden Informationen waren zweifelhaft. Die Friesen verhielten sich Fremden gegenüber nicht besonders aufgeschlossen, und die Nachfrage nach den weiterverarbeiteten Wrackteilen hinterließ misstrauische Blicke. Doch so vage die Aussagen der Befragten auch waren, einen Überlebenden hatte es hier in
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