Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Hand auf den Arm ihrer Freundin.
Ragnhild umfasste ihren Bauch und atmete lange aus. »Manchmal habe ich das Gefühl, mein Kind hat mehr als zwei Beine, um mich zu treten. In den letzten zwei Wochen lag es sehr unruhig. Ich kann schon kaum noch schlafen«, gestand die werdende Mutter mit gepresster Stimme.
»Du solltest dich schonen, Kindchen. Bis dein Spross kommt, würde ich dir raten, das Haus nicht mehr bei einem solchen Sauwetter zu verlassen. Du könntest krank werden«, meinte Hilda vorwurfsvoll.
»Oh, bitte, Hilda, fang du nicht auch noch an. Oder willst du, dass ich dich in Zukunft mit Luburgis anrede?«, entgegnete Ragnhild mit einem Zwinkern.
Beide Frauen fingen herzlich an zu lachen und fassten sich bei den Händen. Sie wussten, wie gefährlich es sein konnte, so über Luburgis zu reden, denn die verbitterte Hausherrin hatte ihre Ohren nahezu überall. In manchen Momenten jedoch verband sie die Abneigung gegen die zänkische Frau regelrecht, und sie konnten sich ein paar Boshaftigkeiten einfach nicht verkneifen.
Luburgis machte nie einen Hehl daraus, dass es ihr missfiel, wenn Ragnhild und Hilda sich miteinander unterhielten, als seien sie Gleichgestellte. Eine Vermischung der gottgewollten Ordnung , nannte sie das immer; wobei sie in diesen Momenten anscheinend absichtlich zu verdrängen versuchte, dass Ragnhild ebenso arm geboren worden war wie die Magd des Hauses. Ihren Missmut darüber, dass sie die Freundschaft nicht verbieten konnte, ließ sie nicht selten die Magd spüren. Ragnhild fühlte sich in diesen Momenten oft schuldig, doch sie war machtlos. Luburgis würde niemals aufhören, Ragnhild zu verachten.
»Ich bringe dir noch etwas Würzwein«, meinte Hilda fürsorglich, während sie sich mit schwerfälligen Bewegungen von der Holzbank erhob. »Du solltest dich näher ans Feuer setzen. Es ist nicht gut, wenn du in nassen Kleidern dahockst.«
Ragnhild wollte sich gerade folgsam umsetzen, als die Tür der Küche unvermittelt aufsprang und Luburgis hereinstürmte. Die Ruhe war vorüber. Innerlich die Augen verdrehend, ärgerte sich Ragnhild, dass ihr offensichtlich nicht einmal die kleinste Pause vor ihrer launischen Schwägerin vergönnt zu sein schien.
Hilda, die im gleichen Moment zum Weinkrug gehen wollte, erschrak sich so sehr vor der aufspringenden Tür, dass sie den Holzbecher fallen ließ und dieser in zwei Teile zerbrach. Einen Moment lang herrschte Stille im Raum. Jeder wusste, was nun kommen würde.
»Du dummes Ding«, keifte Luburgis die Magd an. »Glaubst du, diese Dinge wachsen auf Bäumen? Dir werde ich schon noch beibringen, vorsichtiger zu sein. Diesen Becher wirst du bezahlen!«
Hilda seufzte schwermütig und bückte sich sogleich, um das Holz aufzuheben. Regelmäßig fand Luburgis etwas, das sie dazu benutzen konnte, ihr etwas vom Lohn abzuziehen. Doch die Magd wusste, dass Widerstand zwecklos war. Seit dem Tod ihres Ehemanns brauchte sie die Anstellung als Magd noch viel nötiger als vorher. So erwiderte sie nichts als: »Ja, Herrin«.
Luburgis trat in die Küche ein und schaute sich prüfend um. Ihre Augen fuhren suchend herum. Als ihr Blick auf Runa fiel, sog sie erschrocken Luft ein und legte sich die Hand auf die Brust. Auch dieses Mal hatte sie etwas entdeckt, was es zu beanstanden gab. »Kind, wie siehst du aus? Völlig durchnässt. Und dein Kleid, wie hast du den Saum nur so verschmutzen können?«
In diesem Moment dachte Ragnhild absurderweise, dass es gut war, Runa wenigstens zuvor das Haar geflochten zu haben. Leider milderte dies den fassungslosen Blick Luburgis’ jedoch in keiner Weise.
Rüde packte sie das Mädchen am Arm und wollte es mit sich ziehen. Runa aber wehrte sich und versuchte sich jammernd und zappelnd aus dem festen Griff zu befreien. Es dauerte nicht lange, bis es Luburgis zu viel wurde und sie vor Wut zu kochen begann. Brüsk drehte sie sich um, blickte Runa eiskalt in die Augen und tadelte das Kind seines schlechten Betragens wegen aufs Schärfste. »Benimm dich gefälligst, du ungezogene Göre, sonst kannst du was erleben.«
Ragnhild wollte aufstehen und die Situation schlichten, doch sie kam mit ihrem runden Bauch nicht mehr so schnell voran, wie sie es sich wünschte.
Noch immer wehrte sich Runa mit Händen und Füßen und beschmutzte so das Kleid ihrer Tante mit dem Schlamm der Straße. Kurzerhand holte Luburgis aus und schlug dem Kind heftig mit dem Handrücken der freien Hand ins Gesicht.
Einen stillen Moment des Schreckens
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