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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Ragnhild ausnahmsweise heilfroh über den Anblick des Hauses und konnte ihre Füße fast nicht schnell genug über die Schwelle bringen. Tropfnass traten Mutter und Tochter durch die eisenbeschlagene Tür und gingen direkt in die Küche, wo die Magd Hilda, wie jeden Freitag, auf die beiden wartete.
    »Da seid ihr ja endlich. Ich war schon in Sorge, der Wind hätte euch hinfortgeweht.«
    Ragnhild schüttelte lächelnd den Kopf. »Meinst du nicht, dass ich dafür mittlerweile zu schwer bin?«
    Hilda zuckte mit den Schultern und lächelte. Die Magd war mit ihren vierzig Jahren ganze neunzehn Jahre älter als Ragnhild, doch sie bezeichneten sich dennoch als Freundinnen. Manchmal hatte Ragnhild allerdings weniger den Eindruck, sie seien Freundinnen, denn vielmehr, sie seien Mutter und Tochter. Die überfürsorgliche Art der Magd wurde zusätzlich davon genährt, dass sie Ragnhild stets mit Kind oder Kindchen ansprach, und ihr rundes Äußeres strahlte zusätzlich etwas Mütterliches aus. Die kurzen Arme und Beine schienen immer in Bewegung zu sein, und ihre von der harten Arbeit rissigen Hände kamen nur zum Gebet zur Ruhe. Hildas Gesicht wurde von zwei runden Wangen dominiert, die häufig vor Anstrengung glühten. Das grau durchwirkte Haar trug sie stets zu einem strengen Knoten, den sie unter einem Tuch verbarg. Durch die andauernde Arbeit in der Küche zog sie ständig den Duft von Essen mit sich, worin vielleicht auch die Tatsache begründet lag, dass man in ihrer Nähe immer Hunger bekam.
    Nachdem Ragnhild der Magd den Korb mit dem Fisch übergeben hatte, saßen sich die Freundinnen nun herzlich lächelnd auf den rauen Holzbänken der Küche gegenüber. Die gemeinsame Zeit war rar geworden, seitdem Ragnhild einer anderen Schicht angehörte. Doch auch wenn sie jetzt nicht mehr jeden Tag miteinander lachen und scherzen konnten, war die Freundschaft zwischen ihnen ungebrochen. Mit sichtlicher Wonne ließen sie sich den heißen Würzwein in ihren Bechern schmecken. Sogar Runa hatte, nach langem Betteln, einen kleinen Schluck bekommen. Wenig später waren ihre Bäckchen vom Wein gerötet. Die blonden Haare klebten noch immer nass an ihrem Kopf, und die tropfenden Kleider bildeten kleine Pfützen unter ihr.
    Während Ragnhild mit Hilda redete, kämmte sie ihrer Tochter das volle Haar mit den Fingern und flocht es zu Zöpfen. »Wo ist Marga?«, erkundigte sie sich nach Hildas Tochter.
    »Sie ist schon früh aus dem Haus. Heute ist der Todestag ihres Vaters, und sie hat mich gebeten, wie jedes Jahr an diesem Tage in die Kirche St. Jacobi gehen zu dürfen, um eine Kerze anzuzünden und Gebete für sein Seelenheil zu sprechen.«
    Ein mitfühlendes Nicken war die Antwort ihrer Freundin. Ragnhild schnürte es bei dem bloßen Gedanken daran, Albert zu verlieren, die Kehle zu. Nur zu gut verstand sie, dass Hilda sich trotz einiger Bewerber aus ihrer Nachbarschaft nicht dazu durchringen konnte, erneut zu heiraten. In Gedanken nun bei ihrem eigenen Mann, fragte Ragnhild: »Wann hat Albert heute das Haus verlassen? Als ich erwachte, war er bereits fort.«
    »Hm, lass mich überlegen. Er ist heute schon sehr früh am Morgen gegangen. Ich habe gehört, wie Conrad ihn fortschickte, einige Besorgungen zu tätigen. Er sollte in die Beckmacherstraße, um nach dem Bau der benötigten Fässer zu sehen, und dann in die Schmiedestraße, um neue Messer bei Meister Curland in Auftrag zu geben. Aber zuerst wollte er zur Baustelle eures Hauses – das hat er noch erzählt, bevor er aufgebrochen ist.«
    Ragnhild schüttelte entmutigt den Kopf. »Wann wird Conrad endlich aufhören, Albert mit diesen niederen Botengängen zu beschäftigen? So wird er nie mehr über den Tuchhandel lernen. Ich sehne den Tag herbei, an dem wir die Bürde des Testaments endlich ablegen können. In ein paar Wochen ist es so weit. Wenn doch nur unser Haus dann schon fertig wäre«, beklagte sich Ragnhild müde.
    »Kopf hoch, Kindchen, ihr werdet schon eines Tages in eurem eigenen Haus wohnen. Macht nur fleißig Kinder«, sagte Hilda mit Blick auf Ragnhilds Bauch. »Irgendwann gibt es vielleicht einfach nicht mehr genug Platz in diesem Haus, und Conrad legt selbst Hand an beim Bau, um euch und den Kinderlärm loszuwerden.« Sie lachte, und ihr sonniges Gemüt zog selbst Ragnhild für einen kurzen Moment mit sich.
    Doch plötzlich hielt Ragnhild mit verzerrtem Gesicht inne, um dann kurz darauf leise aufzustöhnen.
    »Was ist mit dir?«, fragte Hilda besorgt und legte eine

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