Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Beherrschung zu verlieren. Seine Kehle war wie zugeschnürt, und das Blut schoss ihm in den Kopf. Er fühlte noch, wie der Ratsmann ihm aufmunternd die Hand auf die Schulter legte und ihm diese zweimal klopfte. Darauf entfernte der Mann sich wortlos. Doch bevor er gänzlich verschwand, fragte Albert noch, ohne sich umzudrehen: »Sagt mir, wer ist der Mann, der das Grundstück neben mir gekauft hat?«
Der Bauherr blieb stehen und zögerte einen Moment. Er hatte gehofft, dass ihm diese Frage erspart blieb. »Es ist Euer Bruder.«
Albert durchfuhr ein Stich. Er hatte es geahnt. Wer sonst in der Stadt wollte ihm fortwährend Übles? Ein dünnes »Danke« war alles, was er noch zwischen den Lippen hervorbrachte, bevor der Consules verschwand.
Wütend lief Albert mit in die Seiten gestemmten Fäusten vor seinem Bauplatz auf und ab. Dann blieb er stehen und kickte mit all seiner Wut einen Haufen Kiesel in das Fundament, welche mit einem raschelnden Geräusch gegen die hölzernen Bretter schlugen. Es war zum Verrücktwerden. Wann würde ihm endlich mal etwas gelingen? Warum musste es diese Feindschaft zwischen ihm und Conrad geben? Schon immer waren sie verschieden gewesen, doch seit Alberts Hochzeit mit Ragnhild hatte das brüderliche Verhältnis immens gelitten. Conrad sah in Ragnhild noch immer nur die mittellose Dänin, die sie vor der Hochzeit mit Albert gewesen war. Dass er sie nun, nach der Vermählung mit seinem Bruder und Ablegen des Bürgereides, als seine Schwägerin zu achten hatte, stimmte ihn spürbar missmutig, und er versuchte erst gar nicht, dies vor Albert zu verbergen. Doch erst das väterliche Testament hatte zum endgültigen Bruch zwischen den Brüdern geführt. Vom ersten Tag an hatte der acht Jahre Ältere jedes seiner seither zugesprochenen Privilegien auf das Schamloseste ausgenutzt und so das Zusammenleben weiter verschlimmert. Conrad war allzeit bemüht, Albert niemals zu viel Verantwortung im Tuchhandelsgeschäft zu übertragen und so seinen Einfluss klein zu halten – es war demütigend! Die letzten vier Jahre hatten Alberts Rechtsempfinden ein ums andere Mal auf eine harte Probe gestellt. Sosehr er auch gewillt war, den letzten Willen seines Vaters zu akzeptieren, das Gefühl der Ungerechtigkeit blieb bestehen.
Doch es gab einen Grund, stark zu bleiben. Bald schon hatte diese Schmach ein Ende, denn in wenigen Wochen würde er das ersehnte Alter von fünfundzwanzig Jahren endlich erreicht haben, und dann wäre alle Schuld seinem Vater gegenüber gesühnt. Danach würde er sein eigener Herr sein, und er würde beweisen, dass er ein mindestens ebenso guter Kaufmann war wie Conrad!
Nachdem Albert sich mit diesen einzig erhellenden Gedanken notdürftig aufgerichtet hatte, verließ er mit schweren Schritten die Grimm-Insel über die Zollenbrücke. Für einen kurzen Augenblick hielt er an ihrer höchsten Stelle inne, lehnte sich mit den Armen an ihre Brüstung und blickte auf das Nikolaifleet hinab. Gerade fuhr eine stattliche Kogge mit wehender Takelage aus dem Hafen aus, den er zu seiner Rechten überblicken konnte. Albert gab sich einen Moment lang seinen Gedanken hin. Er stellte sich vor, dass er selbst es war, der diese Kogge hinaus auf die Elbe führte, um als Kaufmann Tuche aus Flandern zu holen. Der Seeweg dorthin war ihm noch von früheren Reisen geläufig, da er seinen Vater begleitet hatte. Obwohl diese Tage schon lange vorüber waren, lagen die Erinnerungen daran noch so deutlich vor seinem inneren Auge, als hätten sie gestern erst die Segel gehisst.
Der geschlungenen Linie des Nikolaifleets folgend, war ihr Schiff zunächst um den Teil der Stadt gefahren, der noch immer Neue Burg genannt wurde, obwohl die einstmalige Burg schon lange nicht mehr stand. An ihrer Stelle befanden sich nun fünfzig etwa gleich große dreieckige Grundstücke, die tortenförmig am Rande der Landzunge verliefen. Die dort angesiedelten Kaufleute hatten ihre Häuser auf dem Ringwall der früheren Burg errichtet, wo sie geschützt vor Hochwasser und Gezeiten waren. Das Schiff des Vaters hatte daraufhin die Grimm-Insel mit ihren rechteckigen Parzellen hinter sich gelassen, von denen eine heute sein eigenes Grundstück war. Nach einer Linkskurve passierten sie die Hohe Brücke an der Mündung des Fleets, welche die Cremon-Insel zu seiner Linken mit dem Teil Hamburgs verband, der vor über fünfzig Jahren noch die gräfliche Neustadt gewesen war. Danach hatten Vater und Sohn die ruhigen Gewässer der Stadt
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