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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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zu strecken und somit auch der schlechten Stimmung entfliehen zu können, war wirklich sehr verlockend. Doch sie wusste, dass es ratsamer war, sich zu Luburgis in den Handarbeitsraum zu begeben. Mit an Sicherheitgrenzender Wahrscheinlichkeit saß sie mal wieder an einer ihrer geliebten Stickereien. Was kann es heute wohl Aufregendes geben?, spottete Ragnhild insgeheim. Eine neue Haube oder ein Altartuch vielleicht? Mit den Erwartungen an die schlimmste Langeweile machte sie sich auf den Weg. Vielleicht konnte sie die Schwägerin mit ihrem guten Willen besänftigen. Außerdem würde sie so ihre nassen Kleider am Kohlebecken trocknen können.

2
    Albert ließ den Blick prüfend über die vom Regen aufgeweichte Baustelle gleiten. Sooft es ihm möglich war, kam er hierher, um die Fortschritte des Baus zu begutachten. Doch wie fast jedes Mal machte sich auch heute wieder Enttäuschung in ihm breit. Zu langsam – es ging zu langsam voran! Die Ansicht der Baustelle schien ihn zu verhöhnen, denn das Bild der paarweise herausragenden Rundpfosten und der längsseitig genuteten Bretter, die das Fundament darstellten, erschien ihm schmerzlich vertraut – war es doch nicht das erste Mal, dass er den Bau in diesem Zustand betrachtete. Schon bei der Verlautbarung des Testaments war Albert klar gewesen, dass es sicher zu Schwierigkeiten mit dem Bau des Hauses auf dem morastigen Grundstück auf der Grimm-Insel kommen würde. Das Ausmaß der Schwierigkeiten war ihm allerdings nicht bewusst gewesen. Bereits zwei Mal war der fast fertige Fachwerkbau von Unwettern und Flut zerstört worden und die anschließenden Aufbauten von dem aufkommenden Winter gestoppt. So verging nun schon das dritte Jahr nach dem Tode des Vaters, das Albert und Ragnhild als ungeliebte Gäste im Hause des Bruders verbrachten. An manchem Tag war Albert so niedergeschlagen, dass er ernsthaft erwog, dem heidnischen Brauch der Bauern zu folgen und ein Tieropfer im Boden seines Hauses zu vergraben, um wen auch immer damit gütig zu stimmen.
    »Guten Morgen«, ertönte es plötzlich hinter Albert.
    »Ah, ich grüße Euch, Bauherr«, war die höfliche, aber nicht besonders herzliche Antwort. Albert mochte den Ratsmann eigentlich, doch zu seinem Bedauern bedeutete sein Auftreten so gut wie niemals etwas Gutes. Der Consules war vom Rat dazu erkoren worden, dessen Recht durchzusetzen, die Speermaße in Hamburg zu erteilen. Dieses Amt war ein Undankbares, hieß es doch zumeist, sich bei den Grundstücksbesitzern unbeliebt zu machen. »Was treibt Euch hierher? Ich hoffe, dass es nichts Unerfreuliches ist?«
    Der Ratsmann legte den Kopf schief, machte eine zweideutige Handbewegung und erklärte sich mit der lateinischen Bezeichnung seiner Aufgabe, deren Worte jedem Bauherrn zuwider waren: »Mensuram et zonam dare!« Dieser Ausspruch ließ Albert wissen, dass es tatsächlich um die so verhassten Speermaße ging.
    »Was wollt Ihr mir damit sagen, Bauherr? Gibt es Probleme?«
    »Ich befürchte, ja.«
    »Aber es ist doch bereits alles vermessen worden. Die Abgrenzungen meines Bauplatzes sind genau so, wie sie von Euch gefordert wurden.«
    »Da habt Ihr recht. Und dennoch gibt es leider eine Misshelligkeit. Der Mann, der das Grundstück neben Euch gekauft hat, beanstandet, dass Euer Haus zu nah an seinem stehen wird.«
    »Was sagt Ihr? Zu nah? Aber dann soll er sein Haus doch ein Stück weiter zur Seite setzen. Er hat doch noch nicht einmal mit dem Bau begonnen.«
    »Bedauerlicherweise ist die Durchführung Eurer Idee nicht möglich, da sein Haus dann zu nah am Fleet stehen würde.«
    »Ja, und was schlagt Ihr nun vor, Bauherr?«, fragte Albert Unheil witternd und wischte sich die nassen Haarsträhnen aus der Stirn.
    Der Ratsmann war wegen der unangenehmen Situation sichtlich beschämt. Er kannte Alberts missliche Baugeschichte und konnte darum gut verstehen, dass die nächsten Worte seinem Gegenüber unglaublich vorkommen mussten. »Es tut mir sehr leid, aber es wird Euch nichts übrig bleiben, als die Fundamente Eures Hauses noch einmal zu versetzen.«
    Albert entfuhr ein tonloses Lachen. »Das kann unmöglich Euer Ernst sein. Ihr wisst wohl nicht, wie häufig ich …«
    »Doch, das weiß ich, und es ist äußerst bedauerlich«, sagte der Ratsmann in einem glaubhaften Ton.
    »Was sagt der Rat dazu?«, fragte Albert aufgebracht.
    »Es ist bereits beschlossen.«
    Albert wandte sich von dem Consules ab, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein, um nicht vollkommen die

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