Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
meine Sprache, aber nicht die Eurer Zukünftigen und ihres Vaters?«
»Ich … ich weiß es nicht.« Alberts Ton veränderte sich. Er wirkte verwirrt. »Nichts weiß ich mehr, versteht Ihr? Nichts! « Mit fahrigen Bewegungen strich er sich das lange Haar zurück. Thiderich konnte sehen, wie verzweifelt der Mann in diesem Moment war. Mit gebrochener Stimme gestand Albert: »Eines Tages wachte ich auf. Hier, im Haus des Bauern. Neben meinem Bett wachte Tettla. Ich konnte mich nicht erinnern, was passiert war, und sie konnte es mir auch nicht sagen, da ich sie nicht verstand. Ich kam zu Kräften und fing an, auf dem Hof zu helfen, wo ich konnte. Tettla war sehr nett zu mir, und ich war ihr dankbar für ihre Pflege. Irgendwann legte ihr Vater mir ihre Hände in die meinen und versprach sie mir somit als Frau. Von diesem Tage an hörte ich auf zu hinterfragen und ergab mich meinem Schicksal. Es geht mir gut hier, und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich mich an mein anderes Leben erinnern möchte.«
In diesem Moment kamen Walther, der Bauer und seine Tochter aus dem Haus.
Die Augen Tettlas waren rot geweint. Als Albert dies sah, wurde sein Blick weich, und er ging auf sie zu. Mit liebevollen, aber stockenden Worten in ihrer Sprache, die Albert bruchstückhaft erlernt hatte, bedeutete er ihr, sich zu beruhigen. Dann schloss er sie zärtlich in die Arme, worauf sie die ihren dankbar um seinen Körper schlang. Entschlossenen Blickes wandte er sich an die beiden Fremden und sagte: »Ich bitte Euch: Geht! Mein Platz ist hier bei Tettla. Nehmt mein altes Leben wieder mit und lasst mich in Ruhe.«
In diesem Moment war alles klar. Kein Bitten und Flehen würde diesen Mann noch umstimmen. Sosehr sie das Erlebte auch erschütterte, es hatte keinen Sinn, länger als nötig hier zu verweilen. Der Rückweg würde lang und beschwerlich werden, und hier gab es nichts mehr für sie zu tun.
Sie wünschten Albert von Holdenstede aufrichtig alles Gute, banden Millie los und schlugen zu Fuß den Weg ein, auf dem sie gekommen waren.
Als sie schon ein gutes Stück schweigend hinter sich gebracht hatten, schwang sich Thiderich plötzlich auf Millies Rücken und wies Walter an, an dieser Stelle zu warten. Dann preschte er davon – zurück auf den Hof – und sprang vor dem Holz hackenden Albert von der tänzelnden Millie ab. Ohne eine Erklärung fingerte Thiderich an seinem Hals herum und zog eine Schnur mit einem Lederbeutel daran unter seiner Kleidung hervor. Es war der Beutel mit Ragnhilds Haar darin. Diesen Beutel übergab er dem erstaunten Albert und nickte ihm auffordernd zu. »Dies ist für Euch. Bewahrt es gut auf, und wenn Ihr Euch eines Tages erinnern wollt, dann nehmt es zur Hand.«
Mit einem letzten Gruß ritt Thiderich zu dem wartenden Walther zurück, um dann endgültig den Heimweg anzutreten.
4
Endlich war der nächste Tag gekommen. Bodo war nach dem Besuch der Hure sofort in einen tiefen Schlaf gefallen, doch Nicolaus’ Geschnarche hatte ihn mitten in der Nacht geweckt. Vollkommen übermüdet wälzte er sich stundenlang auf seinem schmierigen Strohsack hin und her, bis er endlich das erste Tageslicht erblickte und den Geistlichen wenig freundlich wach rüttelte. Kurze Zeit später waren sie auch schon auf dem Weg zur Kirche.
Noch bevor sie die Tür erreicht hatten, öffnete ihnen der Pfarrer mit den friesischen Worten: »Ich habe Euch schon erwartet.«
Erstaunt traten die beiden Boten ein. Wie konnte der Pfarrer sie erwarten, wenn er ihr Begehr doch noch gar nicht kannte? Sie sollten es bald erfahren.
In der Kirche erwartete sie nicht nur der Geistliche, sondern auch ein abgerissener Kerl, der allem Anschein nach ein Bauer war. Offenbar verbrachte dieser seine Zeit aber lieber in der Schenke als auf dem Feld, denn seine Nase war rot, seine blonden Haare strähnig, und sein Atem roch beißend nach dem Gesöff der Schankstube.
Der Pfarrer ging jedoch zunächst gar nicht auf den Bauern ein. Er begann das Gespräch mit einer ermüdenden Erklärung seiner Arbeit in fremden Dörfern, obwohl sich der Sinn darin für die Boten anfangs nicht erschloss. Wie alle Kirchenmänner, denen sie auf ihrem Weg begegnet waren, richtete auch dieser sein Wort ausschließlich an Nicolaus.
»Ihr müsst wissen, dass nicht alle Orte Rüstringens einen eigenen Geistlichen haben, der für das Seelenheil der Friesen zuständig ist. Aus diesem Grunde reist ein jeder von uns häufig zwischen den Dörfern hin und her, um Gottes Wort auch in
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