Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
betrat ein zweiter Mann die Küche. Es war tatsächlich der von ihnen Gesuchte. Es war Albert von Holdenstede!
Thiderich war sich todsicher. Obwohl er ihn noch nie gesehen hatte, passte die Beschreibung der Dame Ragnhild perfekt. Er war von normaler Statur, nicht übermäßig kräftig, und hatte braunes, jetzt schulterlanges Haar. Seine Gesichtszüge waren jungenhaft – so, wie seine Frau es geschildert hatte. Trotz des dichten Barthaares war es nicht zu übersehen; das war der gesuchte Mann.
Albert schaute die beiden Fremden an; einen nach dem anderen. Keine Regung war auf seinem Gesicht zu erkennen.
Thiderich ging auf ihn zu und deutete eine Verbeugung an. »Albert von Holdenstede, ich grüße Euch. Wir kommen im Auftrag Eurer Gemahlin Ragnhild von Holdenstede, um Euch wieder wohl nach Hause zu geleiten.« Zufrieden mit seiner höflichen Anrede, blickte Thiderich erwartungsvoll in Alberts Gesicht.
Dieser musterte ihn mit argwöhnischem Blick und wandte sich dann mit knappen Worten zum Gehen. »Es tut mir leid, ich kenne Euch nicht, und auch das Weib Ragnhild ist mir unbekannt. Ihr müsst Euch irren.«
Walther und Thiderich waren wie vom Donner gerührt.
Doch nicht nur sie; auch die junge Frau schlug erschrocken die Hände vor den Mund und sog hörbar die Luft ein. Sie schaute Albert hinterher, dann zu Walther und dann wieder zurück. Hektisch erklärte sie Walther, dass Albert bisher kaum ein Wort gesprochen hatte; außer im Schlaf.
Thiderich drängte ihn zu übersetzen, um kurz darauf ebenso fassungslos zwischen ihnen hin und her zu schauen.
Albert von Holdenstede trat indes einfach aus der Tür und verschwand aus ihrem Blick.
Die Freunde trauten ihren Augen nicht. Der Mann, für den sie diese unglaubliche Reise auf sich genommen hatten, stand endlich vor ihnen, und nun drehte er sich um und wollte nichts von ihnen wissen. Hatten sie etwa doch den Falschen aufgespürt? War das alles ein riesengroßer Irrtum?
Nein, befand Thiderich entschlossen, das war unmöglich.
Der Bauer fing an, sich mit Walther zu unterhalten, und dieser übersetzte zeitgleich für Thiderich. Er fragte erstaunt, ob es ein Problem gebe, und erklärte dann, dass seine Tochter und der Fremde, den er Onno nannte, bald heiraten würden.
Nur mit Mühe konnte Thiderich verhindern, angesichts der unerwarteten Neuigkeiten laut aufzustöhnen und sich die Haare zu raufen. Sicher hätte der Bauer dies als sehr unhöflich empfunden; schließlich ging es hier um seine Tochter. Nachdem er dem Wortwechsel zwischen Walther und dem Bauern eine Weile zugehört hatte, fing die junge Frau auch noch an zu heulen. Nun konnte und wollte Thiderich nicht mehr an sich halten. Er stürmte hinaus, rannte Albert hinterher. Dieser hatte sich auf die andere Seite des Hofes verzogen und spaltete wie ein Besessener grobe Holzscheite mit einer Axt.
Wutgeladen kam Thiderich auf ihn zu und fuhr ihn an: »Ihr seid es, Albert von Holdenstede. Ich weiß es genau. Was für einen Sinn hat es für Euch, das zu leugnen?«
Sein Gegenüber hörte ruckartig auf, das Holzscheit auf dem Klotz vor ihm zu bearbeiten. Mit wütender Miene und fest gepackter Axt kam er bedrohlich schnell auf Thiderich zu, der aber keinen Schritt zurückwich. Nur eine Handbreit vor den Füßen des ungebetenen Gasts trieb er die Schneide seiner Axt in den Boden. Dann richtete er seinen wilden Blick auf Thiderich und polterte: »Ich sage doch, ich kenne Euch nicht. Auch kenne ich keinen Albert von Holdenstede oder eine Ragnhild. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Ihr sprecht. Mein Platz ist hier, und ich gehe nirgendwo mit Euch hin, versteht Ihr?«
Thiderich war fassungslos. Was konnte er jetzt noch tun? Sollte er tatsächlich zurückreiten und Ragnhild mitteilen, dass ihr geliebter Ehemann in der Fremde eine Friesin heiraten würde? Nachdenklich richtete er den Blick auf den Boden und stemmte die Arme in die Seiten. Er fragte sich, was er falsch gemacht hatte. Vielleicht war alles zu schnell gegangen. Vielleicht hatten sie den Kaufmann, der nun aussah wie ein Bauer, überfordert. Er blickte wieder hoch und sah in das Gesicht des Gestrandeten. Um einen sanfteren Ton bemüht, fragte er: »Könnt Ihr mir sagen, wie Ihr hierhergekommen seid? Erinnert Ihr Euch an die alte Frau, die Euch am Strand gefunden hat?«
»Von welcher Frau sprecht Ihr?«
Thiderich war der Verzweiflung nahe. Er war nicht gut in so etwas und befürchtete, nun wieder das Falsche zu sagen. »Warum, glaubt Ihr, sprecht Ihr
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