Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
die entlegensten Winkel des Landes zu bringen.« Der Pfarrer war sichtlich stolz auf seine Arbeit, und er war es gewohnt, lange Reden zu halten – ganz zum Bedauern Bodos und Nicolaus’. »Sicher ist es verständlich, dass ich, als Pfarrer einer Gaukirche, nur zu außerordentlich wichtigen Zwecken mein Gotteshaus verlasse.«
»Gewiss doch, gewiss …«, antwortete Nicolaus gespielt interessiert und wunderte sich immer mehr über den Kirchenmann. Worauf wollte er hinaus? Von der Befürchtung getrieben, hier nicht weiterzukommen, überlegte der Missionar bereits, wie er das Gespräch mit dem Pfarrer höflich beenden konnte, als dieser plötzlich seinen Tonfall änderte. Mit zusammengekniffenen Augen und geheimnisvoll klingender Stimme sagte er: »Vor nicht allzu langer Zeit hat mich meine Arbeit an die Grenzen des Kirchortes Aldessen geführt. Dieser Ort stellt für mich stets eine besondere Herausforderung dar, weil am dazugehörigen Strand eine aus dem Dorf vertriebene Hexe wohnt.« Der Pfarrer begann nun so wortreich und ausschweifend von den bösen Mächten dieser Abtrünnigen zu erzählen, dass es den Männern einen Schauer über den Rücken jagte. »Sie ist ein bösartiges Weib mit Visionen, die der Teufel ihr einflüstert, da er die guten Seelen der Christenmenschen einzufangen versucht. Ihr Blick allein vermag dunklen Zauber hervorzurufen, und in ihren langen weißen Haaren spiegelt sich von Zeit zu Zeit eine dämonische Fratze. Schon einmal habe ich sie vertrieben, aber …«
»Verzeiht, Vater«, fiel Nicolaus ihm ins Wort. »Auch wenn Euer überaus lobenswerter Einsatz von großem Interesse für mich als Missionar ist, frage ich mich doch, was hat diese Hexe mit unserem Auftrag zu tun?«
Der Priester war für einen Moment sichtlich empört darüber, so barsch unterbrochen worden zu sein. »Dazu komme ich jetzt. Die Bewohnern Aldessens berichteten mir kürzlich, dass die Weißhaarige einen vom Meer angespülten Mann bei sich aufgenommen habe. Als guter Christ konnte ich natürlich nicht zulassen, dass der Mann in den Fängen dieses Dämons verbleibt; und so trug ich selbst dafür Sorge, dass diese arme Seele von drei Männern Aldessens zu einer mir wohl bekannten, gottesfürchtigen Familie nach Blexen gebracht wurde.«
Nicolaus war bei der Erklärung der Mund aufgeklappt. Nachdem er für Bodo übersetzt hatte, begann dieser sofort, seinen Gefährten mit Fragen über den Gestrandeten zu löchern. Der Missionar gab diese Fragen ungestüm weiter, doch der Geistliche wusste darauf nur wenig zu sagen.
»Der Angespülte war sehr geschwächt, als man ihn holte. Er sprach kaum, und wenn, dann waren es Worte, die niemand verstand. Doch seiner Kleidung nach zu urteilen, schien es sich um einen Kaufmann zu handeln.«
Nach dieser Information geriet Bodos Blut endgültig in Wallung. Er war kaum mehr auf seinem Hintern zu halten und wollte sogleich losstürmen, um den Hinweisen nachzugehen. Doch der Pfarrer hielt ihn mit einem einfachen Handzeichen zurück. Ein abschätziger Fingerzeig auf den Trunkenbold genügte, um diesen wieder in das Gedächtnis der Männer zu rufen. Ganz offensichtlich hatte der Kirchenmann nicht viel für den Bauern übrig. »Auch wenn es nicht so scheint, könnte Euch dieser zerlumpte Kerl noch nützlich sein. Er war es, der mir von Eurer Suche erzählt hat. Und da er jedem geschwätzigen Waschweib den Rang abläuft, sobald er trinkt, habe ich sogar noch mehr aus ihm herausbekommen. Aber fragt ihn selbst.«
Der Besoffene bemerkte es kaum, dass man über ihn sprach. Er hatte größte Mühe, sich aufrecht zu halten, und schwankte gefährlich hin und her.
Rüde wurde er von Nicolaus zum Sprechen aufgefordert, was ihn allerdings maßlos überforderte. Kaum mehr in der Lage, zwei zusammenhängende Silben zu formen, brabbelte er unverständlich vor sich hin. Mühsam errieten die drei Männer den Sinn seiner gelallten Worte. Irgendwann war jedoch klar, dass er am gestrigen Tage ein Gespräch mit zwei Reisenden gehabt hatte, an das er sich zur allgemeinen Verwunderung noch erinnern konnte. Die beiden Männer hatten in der Schenke erzählt, dass sie auf der Suche nach einem verschollenen Kaufmann von einem Schiff namens Resens waren.
Bodo und Nicolaus rissen ungläubig die Augen auf. Das war unmöglich. So einen Zufall konnte es nicht geben. Was hatte das zu bedeuten? Fast schon waren sie gewillt, an den Worten des Trunkenboldes zu zweifeln, als dieser plötzlich und erstaunlich klar den Namen
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