Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Hildegard ihr die Hintergründe der jüngsten Ereignisse geschildert hatte, zermarterte sich Ragnhild den Kopf, um den niederträchtigen Plan ihrer Feinde bis aufs letzte Detail zu rekonstruieren. Irgendwann dann, des Nachts auf ihrer kargen Bettstatt, war ihr die Lösung wie von selbst gekommen. Plötzlich lag es ganz klar vor ihr, warum diese unterschiedlichen Männer und Frauen sich zusammengeschlossen hatten, und sie konnte sehen, was sie allesamt antrieb. »Euer Plan scheint gut funktioniert zu haben. Eigentlich hat doch ein jeder von Euch das bekommen, was er wollte, oder etwa nicht? Heseke und Johannes vom Berge haben ihre Erben, Luburgis ihre lang ersehnten Kinder, Vater Lambert hat es geschafft, mich aus dem St.-Petri-Kirchspiel zu verbannen, und Euch und Eurem Vater ist doch ebenso Gerechtigkeit widerfahren. Albert ist tot, und ich befinde mich hier im Kloster. Ich bin nun nur noch eine einfache Begine, keine Frau von Stand mehr, keine Kaufmannsfrau und keine Mutter. Was also wollt Ihr noch von mir, Ingrid von Horborg?«
Die Magistra hatte inzwischen wieder zu ihrer alten Selbstsicherheit gefunden und klatschte nun bewundernd in die Hände. »Ich bin beeindruckt, du hast uns alle durchschaut. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut. Tatsächlich scheinst du nicht so dumm zu sein, wie ich dachte.«
Ragnhild überging die höhnische Rede Ingrids einfach und nutzte die Gelegenheit, um die eine noch ausstehende Frage zu stellen, die sie sich bisher noch nicht hatte beantworten können. »Eines allerdings ist mir nach wie vor unklar. Es gibt eine Person, die nicht so ganz in den Plan hineinpassen will. Conrad. Ich weiß, dass er mich stets verachtet hat; schon seit unserer Kindheit. Sicherlich kommt es ihm auch gelegen, dass ich fort bin, aber was ist mit meinen Kindern? Er hätte sie niemals seinen eigenen Erben vorgezogen, sollte er denn noch welche bekommen. Sie tragen das von ihm so verhasste dänische Blut in sich und sind auch noch die Sprösslinge seines ebenso verhassten Bruders. Was also hat ihn dazu veranlasst, sie bei sich aufzunehmen?«
Ingrid zog die Augenbrauen hoch und grinste über das ganze Gesicht. »Du versetzt mich abermals in Erstaunen, Ragnhild. Wäre Conrad nur halb so gewitzt gewesen, wie du es wohl zu sein scheinst, hätten wir ihn nicht mit derart unangenehmen Mitteln zwingen müssen, unseren Anweisungen Folge zu leisten. Eine sehr lange Nacht in Gefangenschaft hat ihn dann aber schließlich davon überzeugt, deine Hochzeit mit Symon von Alevelde abzusagen – wofür du ihm vielleicht sogar dankbar sein solltest – und deine Kinder als sein eigen Fleisch und Blut aufzuziehen. So bekam ich, was ich wollte, nämlich dich in meiner Gewalt, Vater Lambert wurde dich los, Luburgis bekam ihre Kinder, und Heseke und Johannes erhielten drei Erben für ihre Sippe. Nur Conrad ist leider nicht ganz zufrieden. Er hätte dich gerne mit dem fetten Symon von Alevelde verheiratet. Bloß eine winzige Mitgift hätte er an ihn zu zahlen brauchen, und die dänische Brut seines verhassten Bruders wäre er auch noch losgewesen. Aber nachdem er Luburgis’ Gesicht zerschlagen hatte, blieb ihm leider nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Johannes vom Berge drohte ihm damit, zum Rat zu gehen und dort von den Schlägen zu erzählen, die das Gesicht seiner Schwester entstellt haben. Durch die neuen Gesetze im Ordeelbook hätten ihn schlimme Strafen erwartet, und so musste er sich darauf einlassen, deine Kinder als die seinen großzuziehen und somit seiner Frau ihren größten Wunsch zu erfüllen.«
Ragnhild nickte kaum merklich. Die Geschichte war weit komplexer, als sie gedacht hatte. Jetzt allerdings stellte sich ihr alles klarer dar. Für jeden Mitwirkenden war sie bloß ein Mittel zum Zweck gewesen. Einige der Beteiligten hätten sogar billigend ihren Tod in Kauf genommen. Diese Niederträchtigkeit erschreckte Ragnhild gewaltig, doch sie wollte es sich vor Ingrid nicht anmerken lassen. Ruhig hörte sie sich die weiteren Worte ihres Gegenübers an.
»Auch wenn du die Geschichte nun kennst, ändert das gar nichts an deiner Situation. Ja, du hast recht, viele der Ratsherren trauen Conrad nicht und sind unzufrieden darüber, wie er Albert in der Vergangenheit behandelt hat, doch dein Gemahl ist tot, und die Zeit wird Gras über die Sache wachsen lassen. Was kannst du schon ausrichten? Hast du etwa vor, drei Ratsherren, zwei Ratsherrenfrauen, einen Mann der Kirche und eine Magistra vor das Vogtgericht
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