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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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zu zerren? Dass ich nicht lache. Du bist absolut machtlos gegen uns, und das solltest du besser früher als später akzeptieren. Man wird Albert und dich eines Tages einfach vergessen haben; dein altes Leben gibt es nicht mehr. Du hast keine Wahl, als hier im Kloster zu bleiben, und ich werde für dich ein Verlies daraus machen. Jeden deiner Schritte werde ich überwachen lassen, dir den Ausgang und das Besuchsrecht entziehen – und das für den Rest deiner erbärmlichen Tage! Nur du und ich; Seite an Seite, bis wir verrotten!«
    Ragnhilds Kehle war wie zugeschnürt. Gerne hätte sie etwas Passendes erwidert oder Ingrid einfach nur aus lauter Verachtung vor die Füße gespuckt, doch deren letzte Worte waren so wahr, dass sie es fast körperlich spüren konnte. Ihre Feindin hatte sie in ihrer Gewalt, und es gab keinen Ausweg mehr.
    Ingrid weckte Ragnhild aus ihrer Starre, indem sie ihr einen Haufen Kleidung mit dem Fuß herübertrat. Die Stoffe flogen nur so herum und landeten wild zerstreut um Ragnhilds Beine. »Wir haben nun wirklich genug Zeit mit Plaudereien verschwendet. Nimm diese Kleider und bring sie in Ordnung. Sie sind zerrissen und dreckig. Noch heute Abend will ich sie wiederhaben. Und jetzt geh!«

9
    Jeder Versuch Agathas, an ihre Freundin heranzukommen, scheiterte bereits am Tor des Beginenklosters. Immer dann, wenn sie um Einlass ersuchte, war Ragnhild entweder krank oder aber sonst irgendwie beschäftigt.
    Nach dem vierten Versuch kam Agatha all das höchst merkwürdig vor, und sie beschlich der Gedanke, dass Ragnhild davon abgehalten wurde, mit ihr zu sprechen. Gleich darauf rief sie sich jedoch wieder zur Ordnung. Dies war ein Beginenkloster. Von wem sollte Ragnhild aufgehalten werden? Die Blauen Schwestern konnten sich frei innerhalb der Mauern bewegen, gingen selbstbestimmten Tätigkeiten nach, durften Besuch empfangen und das Kloster jederzeit verlassen. Schließlich verwarf sie ihre Gedanken an eine Verschwörung als töricht.
    Was aber war es sonst, das Ragnhild seit Tagen unerreichbar machte? Agatha kam zunächst nicht zu einer befriedigenden Lösung; möglicherweise war ihr Herzweh wegen Alberts Verlust doch schlimmer, als ihre Freundin es zunächst hatte wahrnehmen wollen. Vielleicht aber mochte Ragnhild auch nicht mehr mit den Kaufmannsfrauen ihrer Vergangenheit reden und hoffte, so besser vergessen zu können. Wenn dies tatsächlich so sein sollte, würde Agatha dies natürlich akzeptieren müssen. Tagelang schleppte die Schneiderin diese Gedanken mit sich herum und versuchte sich damit abzufinden, ihre Freundin gehen zu lassen, doch der innere Drang war schließlich stärker. Sie musste unbedingt mit Ragnhild über Runas Verlobung mit Jacob von Alevelde sprechen – egal wie. Als sie erneut über eine Möglichkeit nachdachte, irgendwie an Ragnhild heranzukommen, überkam es Agatha wie ein Blitzschlag. Natürlich. Ingrid von Horborg. Warum war sie nicht schon früher darauf gekommen?
    Seitdem Ingrid die neue Magistra des Klosters war, verweigerte man Agatha strikt den Kontakt zu Ragnhild. Es musste hier einfach einen Zusammenhang geben; jeder wusste um die Geschichte von damals, die die beiden Frauen unweigerlich miteinander verband. Wenn dies allerdings wirklich wahr sein sollte, dann würde es tatsächlich sehr schwer werden, an Ragnhild heranzukommen.
    Fast eine Woche verging, bis Agatha eine Lösung einfiel. Es gab einen Ort, an dem die Frauen sich begegnen konnten – in der Kirche St. Jacobi! Der Plan war perfekt. Hier könnte es tatsächlich zu einen kurzen Gespräch kommen. Da Agatha und ihr Mann ebenso ein Erbe in diesem Kirchspiel besaßen, war es nicht ungewöhnlich, dass sie auch hier von Zeit zu Zeit die heilige Messe besuchten.
    Am nächsten Tag war es so weit. Stocksteif saß Agatha neben ihrem Mann in der Kirche. Kaum ein Wort hatte sie bisher von der Predigt vernommen, doch sie spürte, dass diese sich dem Ende neigte. Kaum wagte sie zu atmen, so aufgeregt war sie. Immer wieder schweifte ihr Blick hinüber zu den Bänken, auf denen die Beginen-Schwestern saßen. Ragnhild hielt den Blick stets gesenkt.
    Wenn sie doch wenigstens ein einziges Mal aufschauen würde, dachte Agatha frustriert. Dann hätte sie ihr ein Zeichen geben und sie so um ein Gespräch bitten können. Doch das Hoffen war vergebens.
    Als der Pfarrvikar der Kirche St. Jacobi die Schlussworte gesprochen hatte, erhoben sich die Gläubigen fast zeitgleich von ihren Plätzen. Agatha reckte den Hals. Ragnhild

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